Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Januar wieder einmal zur Frage der Haftung des Internetanschlussinhabers für die Handlungen der Mitnutzer entschieden (BGH, Urt. v. 8.1.2014 – I ZR 169/12 – BearShare, Volltext). Die Urteilsgründe sind aber erst kürzlich erschienen. Endlich habe ich auch die Zeit gefunden, mir das Urteil im Hinblick auf die Folgerungen für öffentliche WLANs etwas genauer anzusehen …
1. Der Fall
In dem Fall ging es um eine ähnliche Konstellation wie schon Ende 2012 in der Morpheus-Entscheidung (BGH, Urt. v. 15.11.2012 – I ZR 74/12) und um einen anderen Fall als BGH „Sommer unseres Lebens“ (BGH, Urt. v. 12.5.2010 – I ZR 121/08, MMR 2010, 565). Diese letzten beiden Entscheidungen führt der BGH nun fort.
Der Beklagte war Inhaber eines Internetanschlusses. U.a. hatte sein volljähriger Stiefsohn Zugriff über das heimische, gesicherte WLAN hierauf und damit auch auf das Internet. Über den Anschluss wurde mittels der Filesharing-Software BearShare eine Urheberrechtsverletzung begangen. Der verletzte Rechteinhaber mahnte den Beklagten als Anschlussinhaber ab, verlangte Schadensersatz, Unterlassen und Abmahnkosten und erhob anschließend Klage. Der Beklagte verteidigte sich damit, dass die Rechtsverletzung durch seinen Sohn begangen worden sei.
2. Schadensersatz, sekundäre Darlegungslast und deren Folgen für den Anschlussinhaber und Betreiber öffentlicher WLANs
Punkt 1 in jeder solchen Entscheidung ist die Frage, ob der Anschlussinhaber auf Schadensersatz haftet. Der BGH führt wie gesagt seine bisherige Rechtsprechung fort. Zunächst nimmt sieht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine über einen Internetanschluss begangene Rechtsverletzung auch durch den Anschlussinhaber selbst begangen worden ist. Aus dieser Vermutung leitet der BGH wie bisher eine sekundäre Darlegungslast des Beklagten ab. Es ist also seine Aufgabe, die Vermutung zu erschüttern. Aus dem Urteil:
(1) Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft in der Regel eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem Prozessgegner nähere Angaben dazu ohne weiteres möglich und zumutbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011 – I ZR 140/10, GRUR 2012, 602 Rn. 23 = WRP 2012, 721 – Vorschaubilder II, mwN). Diese Voraussetzung ist im Verhältnis zwischen den primär darlegungsbelasteten Klägerinnen und dem Beklagten als Anschlussinhaber im Blick auf die Nutzung seines Internetanschlusses er- füllt.
(2) Die sekundäre Darlegungslast führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen (vgl. OLG Hamm, MMR 2012, 40 f.; Beschluss vom 4. November 2013 – 22 W 60/13, juris Rn. 7; OLG Köln, GRUR-RR 2012, 329, 330; OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2013, 246; LG Köln, ZUM 2013, 67, 68; LG München I, MMR 2013, 396). In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet (vgl. zur Recherchepflicht beim Verlust oder einer Beschädigung von Transportgut BGH, Urteil vom 11. April 2013 – I ZR 61/12, TranspR 2013, 437 Rn. 31; insoweit aA OLG Hamm, MMR 2012, 40 f.; OLG Köln, GRUR-RR 2012, 329, 330; LG München I, MMR 2013, 396).
(3) Der Beklagte hat seiner sekundären Darlegungslast dadurch entsprochen, dass er vorgetragen hat, der in seinem Haushalt lebende 20-jährige Sohn seiner Ehefrau habe die Dateien von dem in seinem Zimmer stehenden Computer zum Herunterladen bereitgehalten.
dd) Unter diesen Umständen ist es wieder Sache der Klägerinnen als Anspruchsteller, die für eine Haftung des Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen (BGH, GRUR 2013, 511 Rn. 35 – Morpheus).
Das hört sich alles bekannt an, schließlich steht es genauso in der Morpheus-Entscheidung? Stimmt.
Aber trotzdem hat das Urteil genau in diesem Punkt Neuheitswert. Denn zuletzt hatten verschiedene Gerichte trotz Morpheus die Anforderungen für den Anschlussinhaber wieder verschärft. Sie wollten, dass der Beklagte den Täter benennt (sog. „Ross und Reiter-Theorie“, z.B. das OLG Köln, s.o.) oder sogar komplett die Beweislast für die Tat durch den Dritten trägt (z.B. das LG München I, s.o.). Diesen Verschärfungstrend stoppt der BGH. Er stellt klar fest, dass es ausreicht, substantiiert darzulegen, dass die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass ein Dritter die Rechtsverletzung begangen haben kann. Allerdings ist es auch zu erwarten, dass der Anschlussinhaber Erkundigungen einholt, z.B. seine Familienmitglieder befragt. Das bedeutet aber nicht, dass er seine Familienmitglieder effektiv belasten muss („Der wars!“). Denn insoweit stellt der BGH fest, dass über § 138 ZPO ein Zeugnisverweigerungsrecht greift (s. z.B. schon LG Frankfurt/M., Beschl. v. 4.10.2012 – 2-03 O 152/12, MMR 2013, 56; zum Thema sekundäre Darlegungslast eingehend Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, Rn. 248).
Was bedeutet das für öffentliche WLANs, wie z.B. Freifunk-Netze, Hotel-WLANs, kommunale WLAN etc.? Erst einmal nichts. Denn die sind ohnehin über § 8 TMG gegenüber Schadensersatzansprüchen privilegiert (so z.B. kürzlich das AG Hamburg).
Aber selbst wenn man eine solche Anwendung der Privilegierung ablehnt, gilt für solche WLANs nichts anderes als für den Familienanschluss: Die ernsthafte Möglichkeit der Verletzung durch Dritte reicht. Und das steht öffentlichen WLANs quasi auf die Stirn geschrieben, so dass man bei diesen schon an der tatsächlichen Vermutung zu Lasten des Inhabers zweifeln muss. Allerdings muss der Betreiber im Rahmen des Zumutbaren Nachforschungen zum möglichen Täter anstellen und darüber Mitteilung machen. Wer aber den Täter nicht ermitteln kann – und das wird aufgrund der Unmöglichkeit, nachträglich Datenströme zu untersuchen praktisch immer der Fall sein. Anders wäre es nur, wenn die Nutzung registriert wird, z.B. durch Anmeldung, wie es teilweise in Hotels und bei der Vermietung von Räumlichkeiten der Fall ist. Aber nicht falsch verstehen: Eine Pflicht zur Registrierung bedeutet das nicht (s. Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, Rn. 234 m.w.N.)!
3. Störerhaftung (und Abmahnkosten)
Das zweite Element ist immer die Frage, ob der Anschlussinhaber als Störer haftet. Und – für den abmahnenden Rechteinhaber häufig am interessantesten – darauf kommt es maßgeblich auch für die Pflicht zum Ersatz von Abmahnkosten an.
Was hat der BGH dazu ausgeführt?
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war es dem Beklagten nicht zuzumuten, seinen volljährigen Stiefsohn ohne konkrete Anhaltspunkte für eine bereits begangene oder bevorstehende Urheberrechtsverletzung über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Tauschbörsen aufzuklären und ihm die rechtswidrige Nutzung entsprechender Programme zu untersagen. Der Inhaber eines Internetanschlusses ist grundsätzlich nicht verpflichtet, volljährige Familienangehörige über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen oder von sonstigen Rechtsverletzungen im Internet zu belehren und ihnen die Nutzung des Internetanschlusses zur rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen oder zu sonstigen Rechtsverletzungen im Internet zu verbieten, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine solche Nutzung bestehen. Da der Beklagte nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen keine Anhaltspunkte dafür hatte, dass sein volljähriger Stiefsohn den Internetanschluss zur rechtswidrigen Teilnahme an Tauschbörsen missbraucht, haftet er auch dann nicht als Störer für Urheberrechtsverletzungen seines Stiefsohnes auf Unterlassung, wenn er ihn nicht oder nicht hinreichend belehrt haben sollte.
(1) Der Senat hat zwar entschieden, dass der Inhaber eines ungesicher- ten WLAN-Anschlusses als Störer auf Unterlassung haftet, wenn außenstehen- de Dritte diesen Anschluss missbräuchlich nutzen, um urheberrechtlich ge- schützte Musiktitel in Internettauschbörsen einzustellen (vgl. BGHZ 185, 330 Rn. 20 bis 24 – Sommer unseres Lebens). Diese Entscheidung ist entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung aber nicht auf die hier vorliegende Fallgestal- tung übertragbar, bei der der Anschlussinhaber seinen Internetanschluss einem Familienangehörigen zur Verfügung stellt (vgl. BGH, GRUR 2013, 511 Rn. 42 – Morpheus).
(2) Der Senat hat ferner entschieden, dass Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes 13-jähriges Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch genügen, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nut- zung des Internets durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern erst verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind dem Verbot zuwiderhandelt (BGH, GRUR 2013, 511 Rn. 24 – Morpheus). Auch diese Entscheidung ist nicht auf die hier vorliegende Fallgestaltung übertragbar, bei der der Anschlussinhaber seinen Internetanschluss einem Familienmitglied zur Verfügung stellt, über das er nicht kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht verpflichtet ist und das auch nicht wegen Minderjährigkeit der Beaufsichtigung bedarf.
(3) Ob und inwieweit dem als Störer Inanspruchgenommenen eine Ver- hinderung der Verletzungshandlung des Dritten zuzumuten ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat (hierzu Rn. 22). Danach ist bei der Überlassung eines Internetanschlusses an volljährige Familienangehörige zu berücksichtigen, dass zum einen die Überlassung durch den Anschlussinhaber auf familiärer Verbundenheit beruht und zum anderen Volljährige für ihre Handlungen selbst verantwortlich sind. Im Blick auf das – auch grundrechtlich geschützte (Art. 6 Abs. 1 GG) – besondere Vertrauensverhältnis zwischen Familienangehörigen und die Eigenverantwortung von Volljährigen, darf der Anschlussinhaber einem volljährigen Familienangehörigen seinen Internetanschluss überlassen, ohne diesen belehren oder überwachen zu müssen; erst wenn der Anschlussinhaber – etwa aufgrund einer Abmahnung – konkreten Anlass für die Befürchtung haben muss, dass der volljährige Familienangehörige den Internetanschluss für Rechtsverletzungen missbraucht, hat er die zur Verhinderung von Rechtsverletzungen erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Überlassung des Internetanschlusses durch einen Ehepartner an den anderen Ehepartner (OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2008, 73, 74; GRUR-RR 2013, 246; OLG Köln, WRP 2011, 781; OLG Köln, GRUR-RR 2012, 329, 331; OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. März 2013 – 20 U 63/12, juris Rn. 29; LG Mannheim, MMR 2007, 267, 268; Rathsack, jurisPR-ITR 25/2012 Anm. 4 unter D; ders., jurisPR-ITR 12/2013 Anm. 5 unter D; ders., jurisPR-ITR 19/2013 Anm. 2 unter C; Härting in Internet- recht, 5. Aufl., Rn. 2255). Sie gelten vielmehr auch für die – hier in Rede stehende – Überlassung des Internetanschlusses durch Eltern oder Stiefeltern an ihre volljährigen Kinder oder Stiefkinder (OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2008, 73, 74; OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. März 2013 – 20 U 63/12, juris Rn. 29; LG Mannheim, MMR 2007, 267, 268; LG Hamburg, Verfügung vom 21. Juni 2012 – 308 O 495/11, juris Rn. 4; Rathsack, jurisPR-ITR 19/2013 Anm. 2 unter C; Solmecke, MMR 2012, 617, 618; Härting in Internetrecht aaO Rn. 2256; aA OLG Köln, GRUR-RR 2012, 329, 331; WRP 2012, 1148; MMR 2012, 184, 185; vgl. auch Rauer/Pfuhl, K&R 2012, 532, 533). Ob und inwieweit diese Grundsätze bei einer Überlassung des Internetanschlusses durch den Anschlussinhaber an andere ihm nahestehende volljährige Personen wie etwa Freunde oder Mitbewohner entsprechend gelten, kann hier offenbleiben (für eine entsprechende Anwendung OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2008, 73, 74; OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. März 2013 – 20 U 63/12, juris Rn. 29; Härting in Internetrecht, 5. Aufl., Rn. 2256; aA OLG Köln, GRUR-RR 2012, 329, 331; LG Düsseldorf, ZUM-RD 2010, 396, 398).
Enthalten diese Ausführungen etwas Neues? Ja: Volljährige Familienmitglieder müssen nicht belehrt werden. Und weiter? Nichts.
Daher gilt: Für öffentliche WLANs hält der BGH in „BearShare“ keine Antworten bereit. Ganz im Gegenteil, er lässt diese Fragen ganz bewusst offen.
4. Und jetzt? – Fazit
Als Fazit bleibt es bei dem, was wir schon vorher wussten: Es kommt darauf an. Die Grundregel lautet: Der Betreiber eines öffentlichen WLANs muss diejenigen Prüfungs- und Überwachungsmaßnahmen ergreifen, die ihm zumutbar sind. Aber: Wer ein öffentliches WLAN anbietet, ist Access Provider und die können sich auf § 8 TMG berufen. Der BGH hält zwar fest, dass §§ 8-10 TMG nicht für die Störerhaftung gelten sollen, gesteht aber immerhin zu, dass an die Zumutbarkeit von Maßnahmen und Pflichten ganz besonders strenge Anforderungen zu stellen sind (so kürzlich auch das AG Hamburg m.w.N.). Und daraus folgt zumindest nach der allgemeinen Auffassung in der Literatur sowie dem AG Hamburg, dass dem Betreiber eines WLANs nichts abverlangt werden kann, was sein Geschäftsmodell gefährdet. Und das sind jedenfalls schwere Eingriffe wie z.B. Port- oder DNS-Sperren, Registrierungspflichten etc. (eingehend Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, Rn. 227 ff.). Selbst eine Pflicht zur Belehrung kann nicht verlangt werden (AG Hamburg, Urt. v. 10.6.2014 – 25b C 431/13; Sassenberg/Mantz, WLAN und Recht, Rn. 235 m.w.N.; wohl auch Hoeren/Jakopp, ZRP 2014, 72, 75).
(Crosspost von offenenetze.de)