Freifunk statt Angst | Urteile | Urteil „Die alte Dame“ für den 22.07.2021 erwartet

Urteil „Die alte Dame“ für den 22.07.2021 erwartet

20. Juli 2021 von Beata Hubrig

Wir erinnern uns: Am 19.07.2015 und 20.07.2015 soll die alte Damen die Urheberrechte mittels Filesharing an den Filmwerken Inserent Vice und Interstellar verletzt haben. Jedoch besaß die alte Dame zum Tatzeitpunkt weder einen Rechner, noch konnte sie mit einem solchen umgehen. Mangels persönlicher Fähigkeiten hätte sie an einer Tauschbörse nicht teilnehmen können und die vorgeworfene Urheberrechtsverletzung nicht begehen können. Sie ist mit dem ihr zur Last gelegten Sachverhalt technisch nicht vertraut. Sie hatte weder die Kenntnis noch den Rechner, um die vorgeworfene Urheberrechtsverletzung zu begehen.

Weiter erinnern wir uns an die Störerhaftung aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, die analog auf Anschlussinhaber angewandt wurde. Das Telemediengesetz sah bereits mit Inkraftreten im Jahre 2007 die Haftungsprivilegierung von Diensteanbieter, mithin von AnschlussinhaberInnen vor. Für rechtswidrige Handlungen Dritter waren die AnschlussinhaberInnen nicht verantwortlich, solange sie von diesen keine Kenntnis besaß. Um dennoch eine vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Haftung für AnschlussinhaberInnen zu konstruieren, wurde die Störerhaftung im Wege der Analogie auf AnschlussinhaberInnen angewandt. In § 1004 BGB heißt es dazu:

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

Mit der analogen Anwendung des § 1004 BGB sollten also die AnschlussinhaberInnen die Haftung auf Beseitigung und Unterlassung bei gegenwärtigen oder drohenden Eigentumsstörungen übernehmen. Sie wurden nach der Störerhaftung dazu verpflichtet, Sorge zu tragen, dass Dritte über ihren Internetzugang keine Urheberrechtsverletzungen begehen. Wohlgemerkt, die Störerhaftung fand nur Anwendung auf Urheberrechtsverletzungen, nicht auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

Die Störerhaftung für AnschlussinhaberInnen war gesetzlich nicht vorgesehen. Die Anwendung erfolgte allein aufgrund Richterrecht. Dabei wurde nicht ausreichend rechtlich diskutiert, ob der Gesetzgeber tatsächlich „übersehen“ hatte, die Störerhaftung für AnschlussinhaberInnen zu normieren oder ob der Gesetzgeber intendiert die Störerhaftung gerade nicht für AnschlussinhaberInnen regelte und eine Haftung gerade nicht wollte. Weiter fand die Frage, ob ein Internetanschluss automatisch die Besorgnis erfüllt, Urheberrechtsverletzungen werden ohne Kontroll- und/oder Sicherungseingriff beeinträchtigt, keinen Eingang in die rechtliche Betrachtung. Mussten AnschlussinhaberInnen grundsätzlich damit rechnen, dass Dritte über ihren Anschluss Urheberrechtsverletzungen begingen. Ist der Internetanschluss eine Gefahrenquelle wie der morsche Baum des Nachbars/der Nachbarin, der auf das eigene Dach zu stürzen droht oder wie eine gefährliche Anlage zum Beispiel zur Stromversorgung?

Der Gesetzgeber beantworte diese Frage zweimal mit nein. Einmal 2015 in der Gesetzesbegründung zur Änderung des Telemediengesetzes und führte dazu aus (https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Service/entwurf-telemediengesetz-zwei.html):

Das zweite Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes sollte die Verbreitung von WLAN fördern. Hierzu stellte es klar, dass der in § 8 Abs. 1 TMG geregelte Haftungsausschluss von Accessprovidern auch für WLAN-Betreiber gilt. Die Regelung sollte sicherstellen, dass jemand, der sein WLAN für andere zur Nutzung freigibt, den gleichen Haftungsprivilegien unterliegt wie zum Beispiel die Deutsche Telekom.

Diese Positionierung des Gesetzgebers gegen die Störerhaftung für AnschlussinhaberInnen fand keinen Eingang in die Rechtsprechung vor deutschen Gerichten. Obwohl der Gesetzger deutlich machte, dass er für die analoge Anwendung des § 1004 BGB auf AnschlussinhaberInnen keinen Raum sah, wurde diese Analogie, die eine ungewollte gesetzliche Lücke voraussetzt, weiter angewandt. RichterInnen urteilten, die Änderung müsse im Telemediengesetz normiert werden.

In einem sehr aufwendigen Gesetzgebungsverfahren normierte der Gesetzgeber 2017 ausdrücklich in § 8 Telemediengesetz, dass für AnschlussinhaberInnen die Störerhaftung und damit die Verantwortung für das Handeln Dritter grundsätzlich nicht besteht. Der BGH bestätigte 2018 die Europakonformität dieser Regelung.

Nun aber haben wir Sommer 2021 und FreifunkerInnen finden sich noch immer in Gerichtsverfahren wegen Filesharing und sollen die Verantwortung für das Handeln Dritter übernehmen.

Dies findet seit 2018 unter der sperrigen Bezeichnung SEKUNDÄRE DARLEGUNGSLAST statt. Dieses Rechtskonstrukt ist nicht gesetzlich geregelt. Es handelt sich erneut um Richterrecht. Durch die fehlende gesetzliche Regelung besitzen RichterInnen einen weiten Beurteilungsspielraum. In den Filesharing-Fällen führt dies zu der Frage, was AnschlussinhaberInnen alles vorzutragen hat, um selber nicht mehr als TäterInnen in die Verantwortung genommen zu werden und durchschnittlich Schadensersatz in Höhe von einem Monatsgehalt zahlen zu müssen.

Die 14. Zivilkammer am LG Köln tendierte in der öffentlichen Sitzung vom 24.06.2021 zum Fall die alte Dame dahin, die sekundäre Darlegungslast anzuwenden, um die Haftungsprivilegierung für die nicht anwenden zu müssen.

Ob dies tatsächlich geschieht, erfahren wir mit Urteil am 22.07.2021.

Am Freitag, den 23.7.21 wird in Berlin am Landgericht in der Littenstraße um 11 Uhr ein weiterer Freifunk-Fall verhandelt. Hier geht es auch um den Antrag, die Unterlassungserklärung mit 250.000 € zu beschweren. Das wäre dann für FreifunkerInnen wohl ziemlich gefährlich und könnte das Ende offener Netze von Privatpersonen zur Folge haben.

Falls Ihr in Berlin seid, kommt vorbei und schafft Öffentlichkeit in diesen Fällen.


 

Eine Antwort zu “Urteil „Die alte Dame“ für den 22.07.2021 erwartet”

  1. Michael sagt:

    Hallo zusammen,

    Gibt es hierzu schon Neuigkeiten? Oder könnt ihr ein Aktenzeichen dieses Verfahrens nennen, dann kann man/frau besser suchen.

    Gruß Michael