Archiv für die Kategorie ‘Urteile’

Neue Abmahnung eines Freifunkers

Mittwoch, 17. November 2021

Der Anschlussinhaber eines großen Berliner Freifunk-Knotens wurde mit Schreiben vom 3.11.21 wegen vorgeblicher Verletzung der Urheberrechte an dem Spiels Tropico 6 abgemahnt. Die Urheberrechtsverletzung soll am 27.8.21 um 00:47 Uhr begangen worden sein.

Im August 2021 liefen rund 2 Terabyte aus dem Freifunk-Netz über den Knoten ins Internet, seit Mai 2020 über 70 TB. An dem Gateway hängt unter anderem ein Coworkingspace, ein Hackerspace und wird auch als Entwicklungsumgebung für OpenWrt und Freifunk Firmware genutzt.

Hinweis: In der Folge sehe ich mir die Abmahnung näher an und versuche den Inhalt zugänglich zu machen. Dabei benutze ich das Binnen-I, weil ich persönlich von der unbedingten Solidarität gegenüber Frauen überzeugt bin und die Verwendung des Binnen-I eine Art ist, meiner Solidarität Ausdruck zu verleihen. Dies ist ein Betrag für die Freifunk-Community, die nach meinem Verständnis und Dafürhalten sich offen und allen Menschen zugewandt verhält. Abwertungen und Beleidigungen werden in den Kommentaren nicht veröffentlicht.

Meine Beiträge dienen dem Austausch unter FreifunkerInnen, um

  1. Das gesellschaftliche Problem der sekundären Darlegungslast in der Anschlussinhaberhaftung verständlicher und damit zugänglicher zu machen und
  2. Gemeinsam in der Community nach einer Lösung für FreifunkerInnen zu suchen und einen angemessen Umgang mit Filesharing-Abmahnungen zu finden.

Die Kanzlei NIMROD teilt mit, sie sei mit der Überwachung von Tauschbörsen beauftragt, in denen die Urheberrechte der Kalypso Media Group GmbH verletzt werden. Hierbei werden sie von einem technischen Dienstleister unterstützt, der ungenannt bleibt. 

Die Zuverlässigkeit der IP-Adressen-Ermittlung und deren Zuordnung zur Urheberrechtsverletzung untermauert NIMROD mit einem jüngst ergangen Urteil der uns bereits bekannten und uns erschütterten 14. Zivilkammer des Landgericht Köln. Dieses Urteil liest sich auch sehr den abmahnenden Rechteverwertern zugewandt. Darin heißt es:

Es bestehen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass es im Rahmen der in einem automatisierten Verfahren erfolgenden Beauskunftung zu Fehlfunktionen der Software gekommen sein könnte. Im Rahmen von Beweiserhebungen zur automatisierten Zuordnung von IP-Adressen vor der im Schwerpunkt mit Urheberrechtsstreitsachen befassten Kammer haben Zeugen zudem mehrfach glaubhaft bekundet, dass bei etwaigen Software-Fehlern oder -Störungen gerade kein Ergebnis ausgeworfen werde. Anhaltspunkte dafür, dass von Seiten eines Mitarbeiters des Internet-Providers durch Manipulationen in die automatisierte Zuordnung eingegriffen worden wäre, sind nicht erkennbar und von Beklagtenseite auch nicht vorgetragen.

Vor der 14. Zivilkammer des Landgericht Köln ist es damit gerichtsbekannt, dass die Protokolle der IP-Adressen-Zuordnungen durch die Deutsche Telekom AG beweissicher durchgeführt wurde/wird. Aus meinen Unterlagen geht jedoch hervor, dass die Deutsche Telekom AG Einschränkungen bzgl. der Beweissicherheit vornimmt und diese Einschränkung auch standardisiert mitteilt.

Schwierig an der vertretenen Rechtsansicht der 14. Zivilkammer finde ich zudem, dass AnschlussinhaberInnen, die zumeist Privatpersonen sind, über Sonderwissen eines eventuellen Organisationsverschulden der Deutsche Telekom AG verfügen müssen, um Anhaltspunkte eine Manipulation vortragen zu können. Dabei wird grundsätzlich und systematisch außer Acht gelassen, dass von der Gegenseite handfeste wirtschaftliche Interessen verfolgt und regelmäßig nur Kopien, deren Inhalte leicht manipulierbar sind, vorgelegt werden. Warum abmahnende Rechteverwerter einen derartigen Vertrauensvorschuss genießen, ist mir ein erschreckendes Rätsel.

Festzustellen ist aber, dass sich die Kanzlei NIMROD zu recht auf dieses Urteil beruft und damit den Druck auf den Freifunker begründet erhöht.

Im nächsten Absatz bezieht sie sich auf das berühmte BGH-Urteil vom 12. Mai 2010 – I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens und stellt fest, dass den Freifunker eine sekundäre Darlegungslast trifft.

Bei der sekundären Darlegungslast handelt es sich um Richterrecht. Aus dem Gesetzestext des § 138 Abs 2 ZPO:

Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

Entwickelte die Rechtsprechung umfangreiche Nachforschungspflichten, die nunmehr derart weit reichen, dass AnschlussinhaberInnen die TäterInnen der Urheberrechtsverletzung dem Rechteverwerter zu nennen haben. Dies liest sich beim obersten Zivilgericht folgendermaßen: (BGH-Urteil vom 12. Mai 2016 – I ZR 48/15, Everytime we touch)

Der Inhaber eines Internetanschlusses, über den eine Rechtsverlet- zung begangen wird, genügt seiner sekundären Darlegungslast im Hinblick da- rauf, ob andere Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten, nicht schon dadurch, dass er die theoretische Möglichkeit des Zugriffs von in seinem Haushalt lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss behaup- tet. Er hat hinsichtlich derjenigen Personen, die selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter in Betracht kommen, im Rahmen des Zumutbaren Nachforschungen anzustellen und mitzuteilen, welche Kennt- nisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung ge- wonnen hat (vgl. BGH, GRUR 2016, 191 Rn. 42 – Tauschbörse III; allgemein zur sekundären Darlegungslast BGH, Urteil vom 11. April 2013 – I ZR 61/12, TranspR 2013, 437 Rn. 31). Im Rahmen der den Beklagten treffenden sekundä- ren Darlegungslast bedarf es daher der Mitteilung derjenigen Umstände, aus denen darauf geschlossen werden kann, dass die fragliche Verletzungshand- lung tatsächlich von einem Dritten mit alleiniger Tatherrschaft begangen worden sein kann.

Auf diese Rechtsprechung beruft sich die Kanzlei NIMROD und wir müssen als Community einen Weg finden, wie FreifunkerInnen mit dieser unmöglich umzusetzenden Rechtsprechung umgehen.

Meldet Euch gerne und unbedingt, um gemeinsam einen gangbaren Weg für alle FreifunkerInnen zu finden. Dabei ist sicher auch der Umstand bedeutsam, dass hinter Freifunk auch eine konkrete Vorstellung von Kommunikationsfreiheit steht und im Kern eine unbedingt freiheitlich ausgerichtete Sichtweise auf menschliches Kommunikationsverhalten golden leuchtet.

Der Gesetzgeber hat zwar im großangelegte Versprechen die Unterstützung von öffentlich zugänglichen WLANs versprochen, indem er eine Haftungsbefreiung für Handlungen Dritter konstituierte und eine Überwachungspflicht von Kommunikationsinhalten ausschloss, jedoch wird dieses gesetzgeberische Versprechen an Diensteanbieter, die den Zugang zum Internet vermitteln vor Gericht nicht umgesetzt.

Verurteilung der Alten Dame vom LG Köln bestätigt

Montag, 25. Oktober 2021

In einem bemerkenswerten Urteil vom 23.9.21 bestätigte das Landgericht Köln mittels gewagter richterlicher Tatbestandsergänzung des Telemediengesetzes die Verurteilung einer fast achtzigjährigen Dame als Filesharerin zu 2000 € Schadensersatz. Somit ist das eigens als Schutz für ehrenamtliche Freifunker bekräftigte Haftungsprivileg im Telemediengesetz hinfällig, der Gesetzgeber hat offensichtlich die marode gesparte Funktionsfähigkeit seiner Gerichte überschätzt.

Vor deutschen Gerichten ist mittlerweile die Verteidigung von AnschlussinhaberInnen gegen den Vorwurf, mittels Filesharing eine Urheberrechtsverletzung begangen zu haben solange aussichtslos, bis die AnschlussinhaberIn die TäterIn ermittelt und deren Namen und ladungsfähige Adresse den RechteverwerterInnen mitteilt.

An die Stelle der Störerhaftung tritt die Pflicht der AnschlussinhaberInnen, Angaben über gefährdnungsrelevantes Nutzerverhalten zu machen. Diese schwerfällige Konstruktion ziehen RichterInnen aus dem § 138 Abs. 2 ZPO, der sekundären Darlegungslast. Denjenigen, die sich gegen ungerechtfertigte Schadensersatzansprüche wehren möchten, wird eine sekundäre Behauptungslast auferlegt. Voraussetzung dafür ist aber nicht nur, dass die RechteverwerterInnen keine nähere Kenntnis über die TäterIn besitzen, sich diese auch nicht verschaffen können und daher pauschal irgendjemanden als TäterIn benennen dürfen.

Zu den Voraussetzungen der sekundären Darlegungslast gehört normalerweise auch, dass die AnschlussinhaberIn über Kenntnisse zur Täterschaft verfügt und ihr die Herausgabe näherer Angaben dazu auch zumutbar ist. Dieser Teil wird von den RichterInnen jedoch nicht geprüft. Über die wichtige Frage, ob Kenntnisse über die TäterIn überhaupt vorhanden sind und ob diese Datenherausgabe überhaupt zumutbar ist, wird richterlich geschwiegen.

Denn daraus formuliert sich eine grundlegend relevante Frage: Wie erhält die AnschlussinhaberIn Kenntnis von der TäterIn der Urheberrechtsverletzung? Hat sie wirklich mehr Wissen über die Urheberrechtsverletzung als die RechteverwerterIn?

Diese entscheidende Frage wird von den RichterInnen ignoriert, so zum Beispiel nun auch von der 14. Zivilkammer des Landgericht Köln.

Diese fehlerhafte Gesetzesanwendung untergräbt das gesetzgeberische Versprechen, AnschlussinhaberInnen könnten und sollten problemlos ihre Anschlüsse teilen: Die Haftungsgefahr aufgrund Handlungen Dritter war ja spätestens mit der Novellierung des Telemediengesetz im Herbst 2017 abgeschafft. Dort hatte der Gesetzgeber der gesellschaftlichen Notwendigkeit Ausdruck verliehen, Internet-Anschlüsse zu teilen.

Sehen wir uns das Urteil (Az. 14 S 10/20) vom 23.09.2021 an auf der Suche, welche Fragen und Feststellungen das Gericht traf:

Die alte Dame wurde ausdrücklich als Täterin der beiden gegenständlichen Urheberrechtsverletzungen verurteil. Das Gericht unterstellt der Beklagten, sie hätte beide Urheberrechtsverletzungen an dem Rechner ihres Sohnes oder ihres Ehemannes vornehmen können. Das ist ein interessanter Kniff des Gerichts, denn die Klägerin selber trägt derartiges nicht vor.

Noch spannender ist der Umstand, dass die Beklagte angab, sie hätte auf Grund ihres Alters nie die Fähigkeiten erlangt, mit Rechnern umzugehen, geschweige denn an Tauschbörsen über Bittorrent teilzunehmen. Diesen offensichtlichen und mehrfach vorgetragenen Umstand ignorieren die Richter schlicht. Ein solches Ausblenden von Tatsachen vor Gericht ist unerhört und lässt sich nur damit erklären, dass andererseits eine Verurteilung als Täterin unmöglich wäre.

Der Sachvortrag der Beklagten wird also dahingehend verkürzt und richterlich gelenkt, dass eine zwar unwahrscheinliche Möglichkeit bestand, die Beklagte nutzte fremde Rechner und habe fahrlässig Filesharing betrieben. Diese Ansicht begründen die erkennenden Richter mit langjähriger Erfahrung in Filesharing-Fällen. Mich dünkt schwer, dass hier gar nicht die Beklagte verurteilt wurde, sondern ein allgemein nach Richteransicht kriminelles Handeln im Internet.

Der Gesetzgeber und seine Haftungsprivilegierung im § 8 Telemediengesetz

Aufregend bis zum Herzflattern sind die gerichtlichen Ausführungen in der Urteilsbegründung: Der Vortrag, einen Freifunk-Knoten zu betreiben, reiche nicht aus, sondern

auch der Tatsächliche Zugriff durch Dritte

müsse vorgetragen werden.

Es wird aber noch toller: Das Gericht nimmt eine Kontrollüberlegung (auf Seite 12, letzter Absatz) bzgl. des Gesetzestextes vor und baut in Eigenregie eine neue Voraussetzung für die Haftungsprivilegierung des § 8 TMG ein:

Dass ein tatsächlicher Zugriff durch Dritte bzw. zumindest die Erreichbarkeit des Freifunkknotens von beliebigen Personen im öffentlichen Raum erforderlich ist, ergibt sich aus der Kontrollüberlegung, dass andernfalls die bloße Installation der Freifunk Firmware bereits die Haftungsprivilegierung des § 8 TMG begründet würde.

Das Landgericht ist also unzufrieden mit der gesetzlichen Regelung der Haftungsprivilegierung des § 8 TMG für AnschlussinhaberInnen, die ihren Anschluss teilen.

Was unser demokratisch gewähltes Gesetzgebungsorgan hier über ein mehrjähriges Gesetzgebungsverfahren unter Beachtung von Eingaben und Ausführungen vieler Interessengruppen entschied, wirft der Vorsitzende Richter am Landgericht Dr. Koepseln mit Richter am Landgericht Dr. Lerach und Richter Dr. Barth über Bord, weil ihnen die Folge der gesetzlichen Regelung nicht gefällt. Dass der Gesetzgeber anstelle der übertrieben kostspieligen Abmahnungen Sperransprüche ohne Anwaltskosten setzte, berührt diese RichterInnen in ihrer Rechtsspruchpraxis nicht.

Die führte zum Ergebnis, dass im Jahre 2021 BürgerInnen wie die alte Dame zu Zahlungen eines Schadensersatzes von teilweise wie hier 2000,- € für wenige Sekunden Upload-Zeit verurteilt werden, weil sie nicht wissen, wer tatsächlich die Urheberrechtsverletzung beging. Skandalös, finde ich!

Dieses Ergebnis verfolgt nicht nur das Landgericht Köln, sondern viele weitere Gerichte wie z. B. in Hessen (AG FFM, Urteil v. 14.10.2021, Az.: 32 C 1505/21), Berlin (LG Berlin, Urteil v. 23.7.21, Az.: 15 O 606/19)), Bayern (AG Aschaffenburg, Verfügung vom 7.10.21, Az.: 130 C 184/21), Hannover (LG Hannover, Urteil v. 7.9.20, Az.: 13 S 2/19) etc.

Die Folgen dieser seit Sommer 2021 gefestigten bundesweiten Rechtsprechung

AnschlussinhaberInnen können sich nicht darauf verlassen, dass das gesetzliche Versprechen zur Abschaffung der Haftungsgefahr gerichtlich umgesetzt wird. Vor deutschen Gericht erfahren AnschlussinhaberInnen in Filesharing-Prozessen ein meiner Ansicht nach zutiefst unfaires Verfahren.

Nicht nur ist es rechtlich und gesellschaftlich äußerst zweifelhaft, wie RechteverwerterInnen über Gerichtsbeschlüsse täglich an tausende Daten von AnschlussinhaberInnen kommen (Wo werden diese aufbewahrt, wann gelöscht und an wen übermittelt?), in welcher unverständlichen Form Abmahnungen von großen Anwaltskanzleien ausgesprochen und formuliert werden und wie unangenehm und inkassohaft mit AnschlussinhaberInnen kommuniziert wird.

Darüber hinaus erlebe ich bis an den äußerste Rand hin ausgeweitete richterlichen Hilfestellungen dieser massenhaften Verfahren von Rechteverwertern. Die vielfache Vereinfachung der Darlegungsanforderungen ermöglichte und ermöglicht erst die Rechtsprechung die massenhaften Abmahnschreiben an BürgerInnen. Meiner Ansicht nach muss diese für das Vertrauen in eine funktionierenden Zivilgerichtsbarkeit als Gefahr eingestuft werden.

Unser Gesetzgeber hat diese Massenabmahnungen gegen BürgerInnen weder ausdrücklich gewollt noch unterstützt. Es ist ihm leider ein gravierender Fehler unterlaufen: Weil er die Staatsanwaltschaften von den massenhaften Eingaben der Rechteverwerter entlasten wollte, lenkte er dieses Vorgehen durch § 101 Abs. 9 UrhG in die Zivilgerichtsbarkeit. Seit dem BGH-Beschluss vom 19. April 2012 – „I ZB 80/11 – Alles kann besser werden“ – ist die Zivilgerichtsbarkeit bundesweit einer enormen Penetration durch die Abmahn-Industrie ausgesetzt. Die massenhaften Anträge dieser geschäftigen AnwältInnen überrollen die Zivilgerichte, und Einzelfallentscheidungen sind von RichterInnen kaum derart zu stemmen, dass sie sich die jeweiligen (technischen) Besonderheiten ansehen und über diese nach den Regeln der juristischen Kunst beurteilen sowie ihre Entscheidungen nachvollziehbar und transparent begründen.

Wobei auch hier hier meiner Ansicht nach 2013 vom BGH richterlich nicht überzeugend argumentiert und nachvollziehbar dargelegt wurde, warum die private Nutzung einer Tauschbörse für wenige Sekunden ein gewerbliches Ausmaß darstelle. Ich kann mir dies nur dadurch erklären, dass RichterInnen das Kommunikationsmittel Internet grundsätzlich als Werkzeug und Anhaltspunkt für gewerbliche Nutzung ansähen und private Nutzung des Internets eben auch grundsätzlich ausschlössen. Dies hat jedoch mit der Wirklichkeit nichts zu tun und zeugt von einem tiefen Unverstand unseres Internets. Was mich zu der Frage führt: Dürfen RichterInnen über (technische) Sachverhalte entscheiden, die sie nur zum Teil und zu wenig verstehen? Reichen zwei Staatsexamina aus, um ein Leben lang über gesellschaftliche Neuerungen/Entwicklungen zu entscheiden? Wie transparent muss die Entscheidungsfindung in der Rechtswissenschaft sein?

Bis heute ist es mir ein Rätsel, wie RichterInnen auf standardisierte Klageschriften und mühlenartige Wiederholungen unterstützend reagieren können, indem sie den Anspruchsgegnern immer höhere Anforderungen aufbürden, ohne den Blick auf diese als AnschlussinhaberInnen zu heben.

Denn die Frage bleibt unbeantwortet: Wie erlangen AnschlussinhaberInnen Kenntnis von der TäterIn? Seit wann reicht eine einfache Befragung aus, um TäterInnen zu einem Geständnis zu bringen? Oder sind wir hier durch die Hintertür bei der Überwachungspflicht von Bürgerinnen mit Providervertrag von BürgerInnen ohne Providervertrag angekommen?

Und wir müssen über Geld sprechen: Die geforderten und mittels Urteilen stattgegeben Schadenshöhen sind losgelöst von Tatsachen und Fakten. RichterInnen vertreten die Meinung, durch mehrere Sekunden Angebot zum Upload könne ein Schaden von mehreren hunderten bis in die tausend Euro entstehen. Obwohl der BGH in seiner Faktor-Rechtsprechung eine konkrete Berechnung der Schadenshöhe verlangt und damit auch konkreten Vortrag der RechteverwerterInnen, werden hier pauschale Schadenssätze ohne rechte Grundlage geschätzt. Mich dünkt auch hier, dass gar nicht einzelne Fälle verhandelt werden, sondern vielmehr die persönliche richterliche Sicht auf das generelle und grundsätzliche Schadenspotential des Internets abgestellt wird, vielleicht sogar auch ein leicht sanktionierender Charakter mitschwingt, denn Filesharing ist nach einer Mindermeinung böse. Dass ohne Filesharingprogramme die Digitalisierung nicht funktioniert, kann zu meiner großen Überraschung offensichtlich ignoriert werden.

Der richterliche Blick in den Filesharing-Prozessen ist meiner Ansicht nach extrem verengt: Eine Urheberrechtsverletzung wurde mittels Netzwerkmitschnitts (was auch immer das ist und wie sehr sich die Unsicherheit über das Abbild eines Sachverhaltes sich aufdrängen muss) protokolliert und auf diese muss repressiv reagiert werden können.

In der Praxis entfaltet die versprochene gesetzliche Unterstützung nach dem Telemediengesetz keine Wirkung, massenhafte Verfahren gegen AnschlussinhaberInnen zu verhindern. Faktisch werden die einzelnen BürgerInnen ohne niederschwelligen Zugang zu Rechtsberatung nicht vor dem Haftungsrisiko beim Teilen ihres Anschluss geschützt.

Was ist zu tun?

BürgerInnen, die ihren Anschluss mit Dritten teilen, wie die bundesweit von der Politik unterstützen FreifunkerInnen, sind darauf angewiesen, ihre Daten selber mittels privater Einrichtung wie z. B. VPN durch das Ausland ins Internet zu senden, um sich vor unberechtigten Ansprüchen einiger RechteverwerterInnen zu schützen.

Die zarte Pflanze der Digitalisierung wird mit dieser Rechtsprechung zertrampelt.

Urteil „Die alte Dame“ für den 22.07.2021 erwartet

Dienstag, 20. Juli 2021

Wir erinnern uns: Am 19.07.2015 und 20.07.2015 soll die alte Damen die Urheberrechte mittels Filesharing an den Filmwerken Inserent Vice und Interstellar verletzt haben. Jedoch besaß die alte Dame zum Tatzeitpunkt weder einen Rechner, noch konnte sie mit einem solchen umgehen. Mangels persönlicher Fähigkeiten hätte sie an einer Tauschbörse nicht teilnehmen können und die vorgeworfene Urheberrechtsverletzung nicht begehen können. Sie ist mit dem ihr zur Last gelegten Sachverhalt technisch nicht vertraut. Sie hatte weder die Kenntnis noch den Rechner, um die vorgeworfene Urheberrechtsverletzung zu begehen.

Weiter erinnern wir uns an die Störerhaftung aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, die analog auf Anschlussinhaber angewandt wurde. Das Telemediengesetz sah bereits mit Inkraftreten im Jahre 2007 die Haftungsprivilegierung von Diensteanbieter, mithin von AnschlussinhaberInnen vor. Für rechtswidrige Handlungen Dritter waren die AnschlussinhaberInnen nicht verantwortlich, solange sie von diesen keine Kenntnis besaß. Um dennoch eine vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Haftung für AnschlussinhaberInnen zu konstruieren, wurde die Störerhaftung im Wege der Analogie auf AnschlussinhaberInnen angewandt. In § 1004 BGB heißt es dazu:

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

Mit der analogen Anwendung des § 1004 BGB sollten also die AnschlussinhaberInnen die Haftung auf Beseitigung und Unterlassung bei gegenwärtigen oder drohenden Eigentumsstörungen übernehmen. Sie wurden nach der Störerhaftung dazu verpflichtet, Sorge zu tragen, dass Dritte über ihren Internetzugang keine Urheberrechtsverletzungen begehen. Wohlgemerkt, die Störerhaftung fand nur Anwendung auf Urheberrechtsverletzungen, nicht auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

Die Störerhaftung für AnschlussinhaberInnen war gesetzlich nicht vorgesehen. Die Anwendung erfolgte allein aufgrund Richterrecht. Dabei wurde nicht ausreichend rechtlich diskutiert, ob der Gesetzgeber tatsächlich „übersehen“ hatte, die Störerhaftung für AnschlussinhaberInnen zu normieren oder ob der Gesetzgeber intendiert die Störerhaftung gerade nicht für AnschlussinhaberInnen regelte und eine Haftung gerade nicht wollte. Weiter fand die Frage, ob ein Internetanschluss automatisch die Besorgnis erfüllt, Urheberrechtsverletzungen werden ohne Kontroll- und/oder Sicherungseingriff beeinträchtigt, keinen Eingang in die rechtliche Betrachtung. Mussten AnschlussinhaberInnen grundsätzlich damit rechnen, dass Dritte über ihren Anschluss Urheberrechtsverletzungen begingen. Ist der Internetanschluss eine Gefahrenquelle wie der morsche Baum des Nachbars/der Nachbarin, der auf das eigene Dach zu stürzen droht oder wie eine gefährliche Anlage zum Beispiel zur Stromversorgung?

Der Gesetzgeber beantworte diese Frage zweimal mit nein. Einmal 2015 in der Gesetzesbegründung zur Änderung des Telemediengesetzes und führte dazu aus (https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Service/entwurf-telemediengesetz-zwei.html):

Das zweite Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes sollte die Verbreitung von WLAN fördern. Hierzu stellte es klar, dass der in § 8 Abs. 1 TMG geregelte Haftungsausschluss von Accessprovidern auch für WLAN-Betreiber gilt. Die Regelung sollte sicherstellen, dass jemand, der sein WLAN für andere zur Nutzung freigibt, den gleichen Haftungsprivilegien unterliegt wie zum Beispiel die Deutsche Telekom.

Diese Positionierung des Gesetzgebers gegen die Störerhaftung für AnschlussinhaberInnen fand keinen Eingang in die Rechtsprechung vor deutschen Gerichten. Obwohl der Gesetzger deutlich machte, dass er für die analoge Anwendung des § 1004 BGB auf AnschlussinhaberInnen keinen Raum sah, wurde diese Analogie, die eine ungewollte gesetzliche Lücke voraussetzt, weiter angewandt. RichterInnen urteilten, die Änderung müsse im Telemediengesetz normiert werden.

In einem sehr aufwendigen Gesetzgebungsverfahren normierte der Gesetzgeber 2017 ausdrücklich in § 8 Telemediengesetz, dass für AnschlussinhaberInnen die Störerhaftung und damit die Verantwortung für das Handeln Dritter grundsätzlich nicht besteht. Der BGH bestätigte 2018 die Europakonformität dieser Regelung.

Nun aber haben wir Sommer 2021 und FreifunkerInnen finden sich noch immer in Gerichtsverfahren wegen Filesharing und sollen die Verantwortung für das Handeln Dritter übernehmen.

Dies findet seit 2018 unter der sperrigen Bezeichnung SEKUNDÄRE DARLEGUNGSLAST statt. Dieses Rechtskonstrukt ist nicht gesetzlich geregelt. Es handelt sich erneut um Richterrecht. Durch die fehlende gesetzliche Regelung besitzen RichterInnen einen weiten Beurteilungsspielraum. In den Filesharing-Fällen führt dies zu der Frage, was AnschlussinhaberInnen alles vorzutragen hat, um selber nicht mehr als TäterInnen in die Verantwortung genommen zu werden und durchschnittlich Schadensersatz in Höhe von einem Monatsgehalt zahlen zu müssen.

Die 14. Zivilkammer am LG Köln tendierte in der öffentlichen Sitzung vom 24.06.2021 zum Fall die alte Dame dahin, die sekundäre Darlegungslast anzuwenden, um die Haftungsprivilegierung für die nicht anwenden zu müssen.

Ob dies tatsächlich geschieht, erfahren wir mit Urteil am 22.07.2021.

Am Freitag, den 23.7.21 wird in Berlin am Landgericht in der Littenstraße um 11 Uhr ein weiterer Freifunk-Fall verhandelt. Hier geht es auch um den Antrag, die Unterlassungserklärung mit 250.000 € zu beschweren. Das wäre dann für FreifunkerInnen wohl ziemlich gefährlich und könnte das Ende offener Netze von Privatpersonen zur Folge haben.

Falls Ihr in Berlin seid, kommt vorbei und schafft Öffentlichkeit in diesen Fällen.

Neue Gefahr Internetzugang: 250.000 €

Samstag, 13. Juni 2020

… strafbewehrte Unterlassungserklärung wegen einer Urheberrechtsverletzung.

Ein Berliner Freifunker richtete in seinem Hausprojekt einen Freifunkt-Knoten ein, damit alle Bewohner Zugang zum Internet haben. Die Warner Bros. Entertainment GmbH warf deswegen ihm vor, er habe am 3. Oktober 2016 für zwanzig Sekunden das Filmwerk „Conjuring2“ zum Herunterladen angeboten. Gegen diesen Vorwurf wehrte sich der Anschlussinhaber. Am 29. Juni 2018 urteilte Richter am Landgericht Berlin Raddatz erstinstanzlich, dass der Freifunker für diese Urheberrechtsverletzung verantwortlich sei (Az: 15 O 440/17).

Richter Raddatz vertritt dabei in seinem Urteil die Ansicht, den Anschlussinhaber treffe die Verantwortung, nachvollziehbar vorzutragen

welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen.

Was bedeutete es, wenn wir dieses Urteil in der Praxis anwendeten? Von allen AnschlussinhaberInnen würde erwartet, zu jedem beliebigen Zeitpunkt im Nachhinein aus eigener Kenntnis vortragen zu können, wer auf den Anschluss zugreifen konnte. Es soll jederzeit rückblickend vortragen werden können, welche und wieviele internetfähige eigene und fremde Geräte zum noch unbekannten Tatzeitpunkt mit dem Anschluss verbunden waren und wer auf sie zugreifen konnte.

Mit welchen Mitteln der Freifunker gegen seine Nutzer mindestens vorgehen soll, forderte Warner Bros. in einem 15-punktigen Fragenkatalog, dem sich Richter Raddatz anschloss. Unter anderem soll sich der Freifunker zu folgenden Fragen äußern:

Weshalb hat der Beschwerdeführer nicht auf ihrem eigenen und den Endgeräten der Mitnutzer nach dem Werk und/oder dem Vorhandensein von Tauschbörsensoftware gesucht?

oder

Warum wurde nicht nachgefragt, ob man die Computer der Mitnutzer (gemeinsam) auf etwaige Anhaltspunkte für die Rechtsverletzung untersuchen könnte?

Würde ein Anschlussinhaber diese Forderungen umsetzen, entstünde eine Datensammlung, die bereits das Fernmeldegeheimnis empfindlich verletzen würde. Aus Sicht des Richters Raddatz würde jedoch sogar hierdurch die Verantwortung des Anschlussinhabers nicht entfallen. Er erwartet ja weiter, wie oben zitiert, dass der Anschlussinhaber konkrete Informationen über Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sammelt sowie Auskunft darüber gibt, wer in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatte, die fragliche Urheberrechtsverletzung ohne sein Wissen und Zutun zu begehen.

Übersetzt heißt dies: Der Anschlussinhaber muss umfangreich zum Vorteil der Warner Bros. Entertainment GmbH vortragen, damit sie ihre Ansprüche erfolgreich durchsetzen kann. Zuende gedacht könnte eine Verteidigung gegen eine Abmahnung auf Grund einer Urheberrechtsverletzung nur dann erfolgreich sein, wenn der Anschlussinhaber einen Täter benennt.

Darüberhinaus wird im Wege der realitätsfernen „Lizenzanalogie“ Firmen wie Warner Bros. auch die oft sehr schwierige Aufgabe genommen, den entstanden Schaden zu beziffern und beweisen zu können. Die führt regelmäßig zu horrenden Schadensersatzforderungen. All dies bleibt tagtägliche Praxis vor deutschen Gerichten, obwohl bereits der Eintritt eines Schadens durch Filesharing widerlegt ist – zugunsten einer Milliarden schweren Verwerterindustrie, die seit den 1990iger Jahren wirtschaftliche und personelle Ausrüstung besitzt, um ihre Erwerbsmöglichkeiten im Internet ausreichend zu sichern.

Gegen diese Entscheidung legte der Berliner Freifunker Berufung beim Kammergericht Berlin ein. Das Kammergericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil am 11. November 2019 (24 U 92/18). Es vertritt die Ansicht, dass

die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehnsablaufs nicht bewiesen ist und damit die für die Täterschaft des Klägers als Inhaber des Internetanschlusses entsprechende tatsächliche Vermutung nicht erschüttert (vgl. dazu BGH, Urteil vom 06.10.2016 – IZR 154/15 – Afterlife – Rdn. 19 m.w.N.).

Sie lassen in ihrem Urteil unberücksichtigt, dass einzig in Verfahren wegen Urheberrechtsverletzungen den Anspruchsgegner die Beweislast trifft, er sei nicht Täter.

Statt also in ihrem Urteil die gefährliche Rechtsansicht zu korrigieren, ein Anschlussinhaber habe Beweise zu erbringen, dass die Vermutung seiner Täterschaft falsch ist, bestärken die Richter am Kammergericht Harte (Vorsitzender), Dr. Elzer und Richterin Dr. Kasprik-Teperoglou die Meinung des Richters Raddatz aus der Vorinstanz. In Folge lehnte das Kammergericht die gesetzlich vorgeschriebene Haftungsprivilegierung durch das Telemediengesetzes ab, obwohl durch Zeugenbeweis erwiesen war, dass der Anschlussinhaber einen Freifunk-Knoten zum Tatzeitpunkt betrieb. Denn dem Anschlussinhaber soll es nicht gelungen sein, die Vermutung seiner Täterschaft zu erschüttern.

Nachdenklich sollte uns alle das Kopfschütteln des Vorsitzenden Richters Harte auf meine Ausführungen in der Verhandlung stimmen, seinen Zugang zum Internet Dritten zur Verfügung zu stellen sei für viele Menschen Normalität. Wes Geistes Kind er ist, zeigte er im Anschluss an die öffentliche Sitzung: Er erhöhte den Streitwert kurzum von 10.000 € auf 16.000 € und verursachte damit eine Erhöhung der Prozesskosten durch zwei Gebührensprünge.

Ausblick

Gegen beide Urteile ist die Verfassungsbeschwerde seit dem 23.12.2019 anhängig. Die Anträge lauten:

  1. Das Urteil des Kammergerichts vom 11.11.2019, 24 U 92/18 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidung ist unter Missachtung seiner Haftungsprivilegierung aus §§ 7 und 8 Telemediengesetz ergangen.
  2. Das Urteil des Kammergerichts vom 11.11.2019, 24 U 92/18 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.
  3. Das Urteil des Kammergerichts vom 11.11.2019, 24 U 92/18 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht auf rechtliches Gehör, denn es hat sein Vorbringen über die praktisch unmögliche Umsetzung der Anforderungen an ihn als Anschlussinhaber weder gewürdigt noch in seinem Urteil gezeigt, dass es seinen Vortrag zur Kenntnis genommen hat.
  4. Die Sache wird an das Kammergericht zurückverwiesen.

Es ist zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht dieser gefährlichen Rechtsprechung entgegentritt. Denn Warner Bros. reichte am 17.12. 2019 gegen den Berliner Freifunker am Landgericht Berlin Klage ein und verlangt darin auch, ihn zu einer strafbewehrten Unterlassungserklärung von 250.000 € oder zu sechs Monaten Haft zu verurteilen. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte dadurch faktisch niemand mehr seinen Internetanschluss teilen – ein beängstigender Gedanke.

Die alte Dame

Freitag, 12. Juni 2020

und ihre angebliche Verantwortlichkeit in einem Urheberrechtsfall.

Wie inzwischen viele tausende Freiwillige hat ein Kölner in seinem Haus einen Freifunk-Knoten eingerichtet. Anschlussinhaberin und damit Vertragspartnerin des Providers ist seine Mutter, die jedoch selber den Internetzugang – schon in Ermangelung eines eigenen Computers – nicht benutzt. Darüber hinaus ist ihr die Nutzung eines Rechners, geschweige denn der Betrieb von Software zur Teilnahme an Peer-To-Peer-Netzwerken, komplett fremd. Nach Ansicht der Warner Bros. Entertainment GmbH soll sie trotzdem Täterin in einem Fall „illegalen Filesharings“ gewesen sein. Dieser Ansicht trat das Amtsgericht Köln am 08.06.2020 (148 C 400/19) bei und verurteilte sie zur Zahlung eines Schadensersatzes i. H. v. 2000,- €.

Die Entscheidungsgründe sind außerordentlich interessant und fassen exemplarisch eine gefährliche Entwicklung zusammen, die in vielen Fällen tendenziöser Rechtsprechung der letzten Zeit deutlich wurde. In solchen Urheberrechtsverfahren müssen Anschlussinhaber neuerding darlegen, dass sie als Täter nicht in Frage kommen, teilweise sollen sie dies sogar beweisen. Auf diese Art räumen RichterInnen den Rechteinhabern wie Warner Bros. einen prozessualen Vorteil ein. Sie müssen nicht mehr selber Tatsachen vortragen, durch die sie ihre Ansprüche begründen – im Gegenteil wird nun der Anspruchsgegner einer diffusen sogenannten „Darlegungslast“ ausgesetzt, seine Nichttäterschaft vorzutragen. Dies geschieht gegen den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der mit der Novelle des TMG (3. TMGÄndG von 2017) ausdrücklich eine Haftungsgefahr für Anschlussinhaber ausschließen wollte, unter anderem, um den digitalen Standort Deutschland nicht durch eine Welle unlauterer Abmahnungen zu gefährden. In den letzten Jahren sahen sich jedoch weit über 100.000 Menschen in Deutschland einem solchen Rechtsstreit ziemlich hilflos ausgesetzt.

Im eingangs beschrieben Fall ermittelte eine Firma mittels eines Forensic-Systems eine Person, die in einer Tauschbörse zum Download einer urheberrechtlich geschützten Datei angeboten haben soll. Dies stellt nach unserem Urhebergesetz eine unerlaubte Handlung dar. Der Anbieter wird über die IP-Adresse bis zu einem konkreten Internetanschluss verfolgt. Im Wege eines sogenannten Gestattungsbeschlusses des zuständigen Landgerichts gab die Deutsche Telekom AG als Provider die ladungsfähige Adresse der Mutter des Freifunkers heraus. Warner Bros. mahnte sie daraufhin ab. Zwar wusste Warner Bros. nicht, ob die Mutter ihren Anschluss alleine nutzt und die Urheberrechtsverletzung von ihr begangen wurde, vermutete dies aber. Mit der Abmahnung verlangt Warner Bros., ohne den tatsächlichen Schaden zu konkretisieren, einen Schadensersatz von 2000,- €. Um dies in eine greifbare Relation zu setzen: Dies entspricht ungefähr dem Vierfachen des Hartz-IV-Satzes.

Nach den allgemein gültigen Regeln des Zivilrechts dürfte es für Warner Bros. nicht ausreichen, einen Täter nur zu vermuten, sie müssten den Täter konkret benennen, um einen Anspruch geltend zu machen. In diesem Fall geht das Gericht jedoch davon aus, dass es Warner Bros., nicht zumutbar ist, über den Anschluss hinaus noch mehr Informationen zum Täter zu sammeln, um eine schlüssige Klage vor Gericht einzureichen. Und das, obwohl sie wirtschaftlich und technisch ungleich besser ausgestattet als die einfachen BürgerInnen.

Der zuständige Richter nennt diese prozessuale Erleichterung die „tatsächliche Vermutung eines Sachverhalts“. Die Folge davon ist, dass die Mutter im Wege der nicht gesetzlich konkretisierten „sekundären Darlegungslast“ zu dem Vorwurf der Urheberrechtsverletzung Stellung nehmen muss. Einfacher ausgedrückt: Es ist einem Anschlussinhaber ohne rechtlichen Nachteil nicht möglich, seine Täterschaft einfach so zu bestreiten. Er muss nun im Gegenteil darlegen, wie sein Anschluss genutzt wird und wer außer ihm noch als Täter in Betracht kommt.

Die Beweiserleichterung für Warner Bros. führte dann in diesem Fall zur Konstellation, dass eine fast siebzigjährige Dame, die zum Tatzeitpunkt weder einen Computer zu benutzen wusste noch den Hauch einer Ahnung von Fileharing-Tauschbörsen hatte, als Täterin genau einer solchen Handlung verurteilt wurde und für eine Tat 2.000,- € Schadensersatz zahlen soll, die sie –  von der Gegenseite komplett unbestritten – nicht begehen konnte.

Der Richter am Amtsgericht Köln Köster-Eiserfunke begründet hier seine Rechtsansicht mit der unerfüllten Anforderung, Dritte zu benennen, damit die Rechteinhaber die Möglichkeit bekommen hätten, entsprechend Beweis anzutreten. Die Beklagte genüge ihrer Darlegungslast nur, wenn die Gegenseite mit den gelieferten Informationen konkret etwas anfangen könne, was zur Durchsetzung der Uhrheberrechtsansprüche führe.

Dabei verkennt Richter am Amtsgericht Köln Köster-Eiserfunke nicht einmal, dass die Mutter DiensteanbieterIn ist, da sie Dritten den Zugang zum Internet vermittelt, § 2 Satz 1 Nr. 1 Telemediengestz. Er wendet jedoch die gesetzlich bestimmte Haftungsprivilegierung zu ihren Gunsten nicht an, sondern verweist wieder auf die sekundäre Darlegungslast. Er verpflichtete also die Beklagte vorzutragen, dass sie die Urheberrechtsverletzung nicht beging. Wenn es nun schon in einem so offensichtlichen Fall wie der alten Dame ohne eigenen Rechner unmöglich ist, den Richter davon zu überzeugen, dass diese als Täterin nicht in Betracht kommen kann – wie sollen die Millionen von Menschen aus der tatsächlichen Vermutung ihrer Täterschäft entkommen?

An diesem Punkt besteht enorme Rechtsunsicherheit: Was alles hat der Anschlussinhaber vorzutragen? Der Gesetzgeber hat dazu in § 7 Telemediengesetz geregelt:

(2) Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 sind nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.

Die Rechtsprechung ist jedoch der Ansicht, dass es eine Nachforschungspflicht gibt:

Die sekundäre Darlegungslast führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen (vgl. OLG Hamm, MMR 2012, 40 f.; Beschluss vom 4. November 2013 – 22 W 60/13, juris Rn. 7; OLG Köln, GRUR-RR 2012, 329, 330; OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2013, 246; LG Köln, ZUM 2013, 67, 68; LG München I, MMR 2013,396). In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet (vgl. zur Recherchepflicht beim Verlust oder einer Beschädigung von Transportgut BGH, Urteil vom 11. April 2013 – I ZR 61/12, TranspR 2013, 437 Rn. 31; insoweit aA OLG Hamm, MMR 2012, 40 f.; OLG Köln, GRUR-RR 2012, 329, 330; LG München I, MMR 2013, 396).

Jedoch ist diese nicht ausreichend konkretisiert, so dass Anschlussinhaber nicht wissen, was ihnen im Einzelfall zugemutet wird. 

Diese Nachforschungspflicht des Anschlussinhabers weiteten RichterInnen zuletzt dermaßen aus, dass sie eine Klage gegen einen Anschlussinhaber nur dann abwiesen, wenn der Anschlussinhaber selber einen potentiellen Täter benennt. In der Folge muss der Beklagte die Arbeit des Klägers erledigen. In keinem anderen Gebiet des Zivilrechts kann einem Anspruchsgegner auferlegt werden, selber detektivisch tätig zu werden. Schlimmer noch: Einem Betreiber eines Internetzugangs – hier eines Freifunkknotens – ist es juristisch tatsächlich verboten, so umfangreiche Protokolle anzufertigen, um später den Täter einer einfachen Urheberrechtsverletzung nennen zu können.

Dies steht ohne Frage in direktem Widerspruch zum gesetzgeberischen Wille, der sich in der Novellierung des Telemediengesetzes im Herbst 2017 manifestierte. Der Gesetzgeber hatte mit der Novelle ja explizit versucht, die Unsicherheiten abzuschaffen, die mit dem Teilen eines Internetanschlusses einhergingen. Die aktuelle Rechtsprechung unterläuft den Willen des Gesetzgebers.

Das Urteil des Amtsgericht Köln vom 8. Juni 2020:

https://austausch.kanzlei-hubrig.de/Public/Die_alte_Dame_anonym.pdf

Der haftungsprivilegierte Freifunker

Samstag, 04. Januar 2020

Nein, der Internetanschluss ist keine Gefahrenquelle!

Gute zwei Jahre war die Verfassungsbeschwerde des Freifunkers V. beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Leider bleiben nun wichtige grundrechtliche Fragen zu offenen WLAN-Hotspots unbeantwortet, denn es wurde zwar ein internes Gutachten zu diesem Fall vom Bundesverfassungsgericht erstellt, jedoch die Nichtannahme-Entscheidung ohne Begründung mitgeteilt. Den grundrechtlich noch immer offenen Fragen liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Von PTG Nevada, LLC, 9601 Wilshire Blvd., Suite 700, Beverly Hills, CA, 90210, Vereinigte Staaten wurde Freifunker V. am 06.11.2015 mittels einer Abmahnung die Verletzung ihres Urheberrechts durch Filesharing vorgeworfen. Schriftlich teilte er der PTG Nevada mit, dass er die vorgeworfene Rechtsverletzung nicht beging. Er betreibt einen Freifunk-Knoten, welchen er seinen Mitbewohnerinnen, seinen Besuchern und Gästen über WLAN zur Verfügung stellt. Zum Zeitpunkt der Abmahnung waren sowohl seine Mitbewohnerinnen wie auch Besucher anwesend. Nachforschungen ergaben keinen Hinweis darauf, wer die Urheberrechtsverletzung begangen haben könnte. Insbesondere war das gegenständliche Werk niemanden bekannt.

Mit Urteil des Amtsgericht Charlottenburg vom 15.12.2016, Az.: 210 C 308/16 wurde die Haftung des Freifunkers begründet:

Nach den Grundsätzen der Rechtssprechung des EuGH ist die Verhinderung von Verletzungshandlungen dem Kläger auch bei Beachtung des § 8 TMG, welchem Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 200/31 zu Grunde liegt, auszulegen ist, zuzumuten.

Danach sei der Beschwerdeführer Störer und hafte der PTG Nevada auf Unterlassen – mit der Folge, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben zu müssen und deshalb aktiv die nächsten 30 Jahre zu verhindern, dass der streitgegenständliche Film über seinen Internetanschluss zum Download angeboten wird. Da Privatpersonen weder die personellen noch die wirtschaftlichen Möglichkeiten dazu besitzen, bedeutet eine solche Zeichnung der Unterlassungserklärung, dass der Anschluss dauerhaft für 30 Jahre geschlossen werden muss. Alle Mitbewohner, Besucher und Gäste müssten zukünftig ihren eigenen Anschluss ins Internet mitbringen. Für die Wohnung des Beschwerdeführers müssten drei Verträge mit Providern geschlossen werden, damit jeder frei von Überwachung durch einen Mitbewohner einen eigenen Internetanschluss nutzen kann.

Am 5.9.2017 wurde seine Berufung mit Beschluss nach § 522 ZPO, Az.: 15 S 5/17 zurückgewiesen. Begründung findet der Beschluss mit dem Verweis auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf (GRUR 2017, 811 – WLAN Hotspot – Rn. 15 f). Danach handle der Freifunker sorgfaltswidrig, wenn er ohne Sicherungsmaßnahmen gegen drohende Urheberrechtsverletzung durch Filesharing die Identität der Nutzer vor Zugangseröffnung zu seinem Netzwerk nicht festgestellt hat.

Diese Rechtssprechung geht von folgenden falschen Annahmen aus:

  • Der Internetzugang stelle eine Gefahrenquelle dar. Es ist das erste mal überhaupt, dass ein Kommunikationsmedium als Gefahrenquelle angesehen wird. Hier wird nicht auf die Werkzeuge abgestellt, die im Internet benutzt werden, sondern auf eine grundsätzliche Gefährlichkeit. Bei der alltäglichen Nutzung des Internets durch 80 % der Bürger liegen Rechtsverletzungen jedoch im Promillebereich.
  • Der Anschlussinhaber sei Täter. Er muss sich aus eigener Kraft entlasten. Voraussetzung für eine solche Annahme wäre aber, dass mindestens 50 % der Anschlussinhaber ihren Anschluss alleine nutzen. In Deutschland lebt und arbeitet die absolute Mehrheit mit anderen Personen zusammen und sie teilt sich den Internetanschluss mit anderen Personen. Die tatsächliche Vermutung hat also mit den tatsächlichen Umständen nichts zu tun. Nur in absoluten Ausnahmefällen benutzt der Anschlussinhaber seinen Zugang alleine.

Diese rechtlichen Krücken wurden von der Rechtsprechung entwickelt, um eine sogenannte Rechtslücke zu füllen. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber eine Regelung für die vorliegenden Sachverhalte nicht getroffen habe. Es gab also keine Vorgaben durch den Gesetzgeber, die durch die Rechtsprechung (wie bei Gesetzeslücken) gefüllt werden konnten. Begründet wird die Füllung der Rechtslücke damit, dass sonst die Verwertungsindustrie niemanden haftbar machen könne, wenn der Täter nicht ausfindig gemacht werden kann. Es müssen nach dieser Rechtsprechung also unbeteiligte Dritte in die Haftung mit einbezogen werden. Dies stellt einen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG dar.

Eine dritte unbeteiligte Privatperson muss eigenständig Maßnahmen ergreifen, um Rechte einer milliardenschweren Content-Industrie zu sichern. Hier wird in die allgemeine Handlungsfreiheit Art. 2 Abs. 1 GG von hunderttausenden Anschlussinhabern eingegriffen. Ob und in welchem Umfang es Filesharing gibt, hat jedoch nach wissenschaftlichen Erkenntnissen keinen Einfluss auf das Vergütungsmodell für Urheber.

Die Rechte der Nutzer des Anschlusses auf Kommunikations- und Informationsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 S. 2 GG werden nicht mit dem geistigen Eigentum abgewogen. Sie fließen nicht in die richterlichen Entscheidungen ein.

Das Setzen eines Passwortes führt nicht zum Rückgang von Filesharing, da die tausenden Abmahnungen, die täglich von der Abmahnindustrie an Privatpersonen versendet werden, zu über 90 % an Anschlussinhaber mit vorgeschaltetem Passwortschutz ergehen.

Bei mehr als einem Nutzer müssen, um die Rechtsverfolgung zu ermöglichen, Verkehrsdaten von dem privaten Anschlussinhaber mitgeloggt werden. Das stellt einen gefährlichen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis, Art. 10 GG dar. Privatpersonen müssten sich demnach gegenseitig ausspionieren können. Niemand, schon gar nicht Eltern, Mitbewohner, Vermieter an Untermieter, Arbeitgeber und viele mehr dürfen auf Grund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und der Konkretisierung in § 4 Abs. 1 BDSG diese Daten erheben, noch speichern oder gar an Dritte übermitteln. Dieses Verbot durch Füllen einer Rechtslücke zu umgehen und keine Abwägung der Rechte miteinander durchzuführen, stellt einen eklatanten und gefährlichen Eingriff in die freiheitliche Rechtsordnung dar.

Die angegriffenen Entscheidungen enthalten weder die Nennung noch eine Abwägung mit den grundrechtlich geschützten Rechten des Beschwerdeführers.

Der EuGH hat in seinem Urteil McFadden vom 15.09.2016 – C-484/14 eine Leitlinie zur Grundrechtsabwägung aufgestellt:

Wenn sich mehrere unionsrechtlich geschützte Grundrechte widerstreiten, obliegt es den innerstaatlichen Gerichten, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen diesen Rechten sicherzustellen (insoweit wird verweist der EuGH auf das Urteil vom 29.01.2008, Promusicae, C-275/06, EU:C:2008:54 Rn 68 und 70).

Die Informationsfreiheit wäre bei der Pflicht zur Setzung eines Passwortes nur verletzt, wenn dieser Internetanschluss nur ein Mittel unter anderen für den Zugang zum Internet bildet. Mit anderen Worten: Es muss im Einzelfall gewährleistet sein, dass die Nutzer auch andere Zugangsmöglichkeiten zum Internet haben. Dies muss im Einzelfall geprüft werden.

Besteht die Möglichkeit nicht, auf andere Weise rechtmäßigen Zugang zu
Informationen aus dem Internet zu erlangen, wäre der Eingriff des Anbieters in die Informationsfreiheit dieser Nutzer – gemessen am verfolgten Ziel – nicht gerechtfertigt (auch hier verweist der EuGH auf sein Urteil vom 27.03.2014, UPC Telekabel Wien, C-314/12, EU:C:2014:192, Rn 56).

Der Passwortschutz muss auch wirkungsvoll sein, d. h. er muss bewirken, dass unerlaubte Zugriffe auf die Schutzgegenstände verhindert oder zumindest erschwert werden und dass die Internetnutzer, die die Dienste des Adressaten der Anordnung in Anspruch nehmen, zuverlässig davon abgehalten werden, auf die ihnen unter Verletzung des genannten Grundrechts zugänglich gemachten Schutzgegenstandes zuzugreifen (vgl. Urteil UPC Tolerabel Wien). Genau hier scheitert der Passwortschutz an der Wirklichkeit, denn jede Familie, Wohngemeinschaft, jedes Büro, Unternehmen des öffentlichen Verkehrs, Hotels und viele mehr halten entweder ihr Passwort in den Räumlichkeiten für jeden sichtbar bereit oder haben gar keinen Passwortschutz. Tatsächlich handelt es sich bei der Idee des Passwortschutzes um ein Placebo, das den gewünschten Erfolg nicht erreicht, Urheberrechte zu schützen.

Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne muss auch der Frage nachgegangen werden, wie stark die Beschränkung durch einen Passwortschutz und der dazugehörigen Datensammlung der Nutzer tatsächlich im Einzelfall ist. Kann hier im Bereich der Kommunikations- und Informationsfreiheit wirklich von einer reinen technischen Modalität ausgegangen werden, oder stellt dies bereits einen Eingriff in die Freiheiten dar – mit der Folge, dass das Kommunikationsverhalten sich den Eingriffen anpaßt und verändert?

Es muss folglich in einer Einzelfallprüfung der Frage nachgegangen werden, wie stark ein Passwortschutz und die Pflicht, Verkehrsdaten der Nutzer zu speichern, in das Kommunikationsverhalten eingreifen. Wie stark behindert eine solche Pflicht die Informationsfreiheit der Nutzer; verlieren Nutzer ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung an Personen, die eine Vertragsbeziehung mit einem Provider haben? Wenn zum Zwecke der Rechtsverfolgung die Kommunikationsdaten gespeichert werden müssen, welche Anforderungen sind daran zu stellen? Werden diese auf Webservern gespeichert, kann schließlich jedermann auf diese Daten zugreifen.

Grundrechte haben neben ihrer primären Funktion als Abwehrrechte verschiedene Zielrichtungen, die anhand ihrer subjektiv-rechtlichen Grundrechtswirkung und der objektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension ausdifferenziert werden. Die objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte gibt dem Staat u. a. auf, die Funktionalität von Grundrechten zu gewährleisten. Dies gilt vor allem auch dann, wenn Grundrechtsberechtigte auf spezifische Voraussetzungen für die Ausübung grundrechtlicher Freiheit angewiesen sind. Die Nutzung der elektronisch vernetzten Kommunikation des Internets gehört mittlerweile zur kommunikativen Grundversorgung der Bevölkerung (BGH, NJW 2013, 1072 ff.), die der Staat im Rahmen seiner verfassungsrechtlich determinierten Gewährleistungsverantwortung (Art. 87 f GG), aber auch in Umsetzung der objektiv-rechtlichen Gehalte der Grundrechte (Art. 5 GG) sowie des Sozialstaatsgebots (Art. 20 Abs. 1 GG) sicherzustellen hat. Dienste und Infrastruktur, die für die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheit im Internet von zentraler Bedeutung sind, bilden die konstitutive Voraussetzung, um grundrechtliche Freiheit zu verwirklichen. Die Ermöglichung des Grundrechtsgebrauchs geht daher mit einer erhöhten Grundrechtspflichtigkeit des Staates einher.

Die Verschiebung privater Informationsmacht im Internet und die dadurch entstandenen Grundrechtsgefährdungslagen lassen sich angesichts des Gebots einer effektiven Sicherung grundrechtlicher Freiheitssphären dennoch grundrechtlich hinreichend abbilden. So wirken die Grundrechte im Verhältnis zwischen Privaten nicht als stumpfes Schwert, sondern können auch hier eine mäßigende, regulierende Wirkung entfalten. Zuvörderst gilt im Privatverkehr aber die individuelle Selbstbestimmung des Einzelnen, die sich auch in der Freiheit sich zu offenbaren und die eigenen Daten der Kommerzialisierung preiszugeben, niederschlagen kann. Der autonome vertragliche Interessenausgleich ist hinzunehmen und bedarf daher dem Grunde nach keiner staatlichen Korrektur. Ein sich paternalistisch aufdrängender Schutz liefe dieser grundrechtlich abgesicherten Möglichkeit der Freiheitsausübung zuwider. Die Ausstrahlungswirkung und damit die grundrechtliche Determinationskraft intensiviert sich aber in Fällen, in denen der Schutz personaler Freiheit von wirtschaftlicher und sozialer Macht erheblich bedrängt wird oder in denen sich eine krass ungleiche Handlungsmacht abzeichnet, welche die Autonomie des Einzelnen unangemessen begrenzt bzw. Fremdbestimmung Selbstbestimmung ablöst.

Die damit einhergehende mittelbare Drittwirkung kann dazu führen, dass Private trotz ihrer Grundrechtsberechtigung ähnlich oder auch genauso weit wie der Staat durch die Grundrechte in Pflicht genommen werden, sofern in tatsächlicher Hinsicht eine vergleichbare Pflichten- oder Garantenstellung besteht. So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem obiter dictum in der Fraport-Entscheidung zum Ausdruck gebracht, dass je nach Gewährleistungsinhalt und Fallgestaltung die mittelbare Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staates vielmehr nahe oder auch gleichkommen kann. Die zivilrechtliche Gleichordnung der Privatrechtssubjekte wird damit zwar kraft grundrechtlicher Einwirkung durchbrochen, dies findet aber seine Rechtfertigung gerade im Hinblick auf den Schutz hochwertiger Grundrechtsgüter, die in Fallgestaltungen evident ungleicher Verhandlungs- bzw. Machtpositionen nicht verwirklicht werden können. Als eine solche Konstellation kommt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Bereitstellung der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation durch private Unternehmen in Betracht, die früher vom Staat erbracht wurde. Dieser Ansatz weist entsprechende Parallelen zur Rechtsprechung des EuGH zur Drittwirkung von Grundfreiheiten auf. Auch hier kann eine Erweiterung des Kreises der Normadressaten bzw. eine verstärkte Verpflichtung aus der wirtschaftlichen und regulierenden Übermacht des Privaten erwachsen, sofern eine Qualifizierung als intermediäre Gewalt möglich erscheint. Die Nutzung der elektronisch vernetzten Kommunikation des Internets gehört mittlerweile zur kommunikativen Grundversorgung der Bevölkerung, die der Staat im Rahmen seiner verfassungsrechtlich determinierten Gewährleistungsverantwortung (Art. 87f GG), aber auch in Umsetzung der objektiv-rechtlichen Gehalte der Grundrechte (Art. 5 GG) sowie des Sozialstaatsgebots (Art. 20 Abs. 1 GG) sicherzustellen hat. Dienste und Infrastruktur, die für die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheit im Internet von zentraler Bedeutung sind, bilden die konstitutive Voraussetzung, um grundrechtliche Freiheit zu verwirklichen. Die Ermöglichung des Grundrechtsgebrauchs geht daher mit einer erhöhten Grundrechtspflichtigkeit einher, die zu einer Verstärkung der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte führen kann. Dies gilt namentlich für marktmächtige Unternehmen im Internet, denen aufgrund ihrer faktischen Regelungsmacht ein erhebliches Einwirkungspotenzial auf die Rahmenbedingungen der öffentlichen Kommunikation im Internet zukommt. Sofern die faktische Regelungsmacht unter Umgehung der Selbstbestimmung des Betroffenen genutzt wird, dessen Daten zu verarbeiten, dürfte als ausgleichendes Korrektiv der Gewährleistungsinhalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eine verstärkte mittelbare Grundrechtsbindung implizieren. Das regulative Einwirkungspotenzial der grundrechtlichen Steuerungsvorgabe wird daher aller Voraussicht nach erheblich an Bedeutung gewinnen.

Nach alledem kann die vorgenommene Abwägung der Interessen aller Beteiligten nur dazu führen, dass die Rechte von Millionen Bürger auf einen freien und unkontrollierten Internetzugang gewährleistet bleibt, den sie für ihre private und berufliche Kommunikation benötigen. Es muss ausgeschlossen sein, dass Bürger sich gegenseitig überwachen müssen, um eventuellen zivilrechtlichen Ansprüchen der Rechteinhaber zu entgehen.

Der Fall Gerlich ./. WVG Medien GmbH und Störerhaftung: Es geht immer weiter…

Montag, 27. Februar 2017

Weißer Stör ( Störerhaftung) und nicht vom Aussterben bedroht – Bildrechte: Gemeinfrei

FreifunkernInnen gelang es in den letzten Jahren immer wieder nötigenfalls auch mit Unterstützung ihrer Anwälte erfolgreich gegen Abmahnungen (ermöglicht durch die Störerhaftung) zu wehren. In einem weiteren Urteil wurde nun einem Freifunker recht gegeben. Grundlage dieses Rechtsstreits war eine negative Feststellungsklage, der zuvor wegen des angeblichen Angebots des Downloads der Folge einer Serie abgemahnt worden war. Anders als bei „typischen“ Filesharing-Fällen war also der Inhaber der WLAN-Anschlusses hier Kläger und der Rechteinhaber Beklagter.

Urheber wollen weiter abmahnen und sind nicht an Rechtssicherheit interessiert

Beim hier eingesetzten Mittel der negativen Feststellungsklage kann der Beklagte (der Abmahner) seine Ansprüche fallen lassen und so verhindern, dass in der Sache weiter geklärt wird. Die Abmahner haben damit wie schon zuvor ein Urteil vermieden. Und so geht das Spiel mit der Angst weiter. In diesem Verfahren wurde deutlich, dass es weiterhin große Schwierigkeiten beim Verständnis der technischen Zusammenhänge im Rahmen der Rechtsauslegung gibt. So wurde zum Beispiel der der IP-Zuordnung trotz Gegengutachten und der Anerkennung der vorgebrachten Einwände geglaubt, weil es plausibel erschien, da zweimal dieselbe IP ermittelt wurde. Allerdings fehlen hier Zeitstempel zu den Einträgen und es gibt in der Software Möglichkeiten Einräge hinzuzufügen, zu aktualisieren und zu löschen.

Ein vom Gericht bestellter Sachverständiger musste mittels Aussage klarstellen, dass den Router selbst drei Jahre später untersuchen zu wollen, keine Erkenntnisse bringen würde. Das Funktionieren des ZAPP Scriptes konnte nicht wirklich durch Zeugenaussagen von Nutzern des WLAN Zuganges belegt werden. Natürlich können diese nicht wissen, welche Version installiert, wie der Schwellwert eingestellt war oder ob es gegriffen hat.

Die Aussagen der Richter bestätigen, dass die letzten Änderungen am TMG nicht ausreichend waren, um vollständige Rechtssicherheit für die Bereitstellung öffentlicher WLAN-Zugänge zum Wohle der Allgemeinheit herzustellen. Ihre Interpretation des McFadden EuGH Urteils bleibt aus unserer Sicht fragwürdig.

Und wie geht es weiter?

Wir prüfen, ob weitere Schritte bzgl. des Kostenentscheids im obigen Fall. Wir möchten weiterhin Menschen, Gruppen, Institutionen ermutigen, offenes WLAN bereit zu stellen und sie dabei unterstützen.

Um die Angst zu bekämpfen und trotz der unklaren Gesetzeslage Freifunk weiterhin zu ermöglichen, stellen die Freifunk Initiativen vielen Knotenbetreibern eine Umleitung durch VPNs zu ihren Servern bereit. Dies ist allerdings nicht unbedingt eine Dauerlösung, denn mit wachsendem Netz wird es technisch, organisatorisch und finanziell immer aufwändiger dies ehrenamtlich zu stemmen, siehe dazu auch die Bundesratsinitiative zur Gemeinnützigkeit. Zudem machen VPNs das Netz langsamer als nötig und fördern zentralistische Strukturen im Netz, das für Resilienz besser dezentral sein sollte. Daher würden wir diesen technischen Fix gerne loswerden, denn er ist kein zentraler Bestandteil der Freifunk Idee. Wir möchten also ermutigen auch ohne diesen Umweg frei(heitlichen), offenen Netzzugang mit Freifunk zur Verfügung zu stellen. Denn es geht um viel mehr!

Obwohl es nach der letzten TMG-Änderung nicht zu Abmahnungen kommen sollte, besteht immer noch Rechtsunsicherheit. Öffentliche Institutionen, Städte und Gemeinden scheuen sich ohne die Unterstützung von Freifunk und den Community-VPNs noch immer davor WLAN Zugangspunkte selbst zu betreiben. Oder sie geben Geld für Lösungen kommerzieller Betreiber aus, oft nur um die Haftungsübernahme zu erreichen.

Privatpersonen, sehen sich immer noch ungerechtfertigten Abmahnungen ausgesetzt. Wer die Sache schnell abwehren möchte, benutzt den https://abmahnbeantworter.ccc.de/. Der hat sich mittlerweile bereits mehrfach bewährt, bedeutet aber immer noch unnötigen Aufwand für die Betroffenen.

Mangelhafte Kenntnisse über IT-Infrastrukturen

Die Aufklärung zum Thema IP-Zuordnung und überhaupt „Wie funktionieren Netzwerke?“ muss weitergehen und dringend intensiviert werden, gerade wenn es um öffentliche Entscheidungsträger geht. Zuversichtlich stimmen uns Urteile, wie das vom 18.01.2017 vom AG Mannheim. Hier heißt es:

„Die von der Rechtsprechung des BGH postulierte Vermutung zulasten des Anschlussinhabers BGH stammt aus „analoger Zeit“ und verkennt die rasante Entwicklung der heutzutage durchgehend digital geprägten Lebenswelt. Internetanschlüsse sind mittlerweile in fast jeder Wohnung zu finden, im Grunde ubiquitär verbreitet, wie auch deren Nutzung. Dabei ist es ein allgemein sozial übliches und verbreitetes Phänomen – auch im engsten Umfeld des Gerichts – dass sämtliche Besucher, Freunde, Angehörige, Freunde der Familienmitglieder und deren Besucher nach der Begrüßung umgehend Zugriff auf das hauseigene WLAN wollen. Die vom BGH dieser Lebensrealität entgegenstehenden und geforderten Kontrollmaßnahmen und Ermittlungen mögen in Studierstubenwelten so gehandhabt werden, mit der Lebensrealität hat dies allerdings nach Auffassung des erkennenden Gerichts nichts mehr zu tun.“

Wir fordern weiterhin die seitens der Politik versprochenen Nachbesserungen am TMG ein, um mehr Rechtssicherheit für öffentlichen bereit gestellten Internetzugang zu erreichen.

Update: Laut einer ersten Kurzanalyse des neuen TMG Entwurfs bleibt alles beim Alten nur anders.

KG Berlin zur Störerhaftung bei Freifunk mit Zapp-Script und zur Privilegierung nach § 8 TMG

Montag, 20. Februar 2017

(Crosspost von offenenetze.de)

Das Kammergericht (KG) Berlin hat am 8.2.2017 in einem Verfahren eines Freifunkers gegen einen abmahnenden Rechteinhaber eine Entscheidung getroffen. Zu dem Verfahren hatte ich hier im Blog schon berichtet. Kläger war ein Freifunker, der eine Splash-Seite und das Zapp-Script (dazu hier) installiert hatte. Er war abgemahnt worden und hatte daraufhin negative Feststellungsklage mit dem Ziel erhoben, feststellen zu lassen, dass der beklagte Rechteinhaber die in der Abmahnung behaupteten Rechte gegen ihn nicht hat.

Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben (meine Bewertung dazu hier), dagegen hatte die Beklagte Berufung eingelegt. Während des Verfahrens hat die Beklagte dann auf die Ansprüche gegen den Kläger verzichtet. Daraufhin wurde das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt und das Kammergericht musste nur noch über die Kosten entscheiden.

Die Entscheidung im Volltext (meine Anmerkungen dazu unten):

KG Berlin, Beschl. v. 08.02.2017 – 24 U 117/15

Leitsätze (von mir):

  1. Auch nach Änderung des § 8 TMG werden Unterlassungsansprüche von der Privilegierung bei richtlinienkonformer Auslegung nicht erfasst.
  2. Sicherungsmaßnahme im Sinne der Rechtsprechung des EuGH kann nicht nur die Verschlüsselung des WLANs und die Identifizierung der Nutzer sein. Vielmehr können auch andere Maßnahmen, die Rechtsverletzungen der Nutzer erschweren, die Störerhaftung entfallen lassen.

Tenor:

I. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben der Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen (§ 91a ZPO).

II. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 16.000,- EUR festgesetzt.

GRÜNDE

A.

Nachdem die Parteien den eine negative Feststellungsklage betreffenden Rechtsstreit in der Hauptsache mit widerstreitenden Kostenanträgen für erledigt erlärt haben, war gemäß § 91a ZPO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten zu entscheiden. Danach erschien dem Senat eine Kostenverteilung wie zu I. des Beschlusstenors quotiert angemessen.

Ohne die auf Seite 7 der Sitzungsniederschrift vom 8. Februar 2017 abgegebene Erklärung, dass die Beklagte gegen den Kläger keine Ansprüche aus einer angeblichen Urheberrechtsverletzung vom 15. März 2013 mehr herleitet, sondern auf diese verzichtet, und die daraufhin übereinstimmend erklärte Erledigung der Hauptsache wäre im Hinblick auf einen gegen den Kläger als Störer gerichteten Unterlassungsanspruch der Beklagten weiter Beweis zu erheben gewesen und war der Prozessausgang insoweit nicht gesichert, sprach insoweit allerdings mehr für ein Obsiegen des Klägers als für sein Unterliegen.

Die in Rede stehende IP-Adresse im fraglichen Zeitpunkt am 15. März 2013 ist dem Kläger zuzuordnen, ohne dass gegen die 1&1 Internet AG als Reseller ein gesonderter Beschluss betreffend die Zuordnung der zu einem bestimmten Zeitpunkt benutzten dynamischen IP-Adresse als bloßes Bestandsdatum erforderlich gewesen wäre (BGH, Urteil vom 12. Mai 2010 – I ZR 121/08 – Rn. 20 zitiert nach juris – Sommer unseres Lebens). Dass zur fraglichen Zeit am 15. März 2013 über diese IP-Adresse eine Folge von The Walking Dead zum Herunterladen durch andere Nutzer im Wege des Filesharings angeboten worden ist, sieht der Senat ohne Verbleib vernünftiger Zweifel deshalb als zugrundezulegen an, weil unter einer ebenfalls dem Kläger zugeordneten IP-Adresse am 6. April 2013 dasselbe Werk angeboten worden ist. Unbeschadet der Einwände gegen die Erfassung von Rechtsverletzungen für die Beklagte durch die Guardeley Ltd. liegt es ausgesochen fern, dass es kurz nacheinander zu Fehlern bei der Erfassung und Zuordnung gekommen sein soll (vgl. auch OLG Kön, Urteil vom 16. Mai 2012 – I-6 U 239/11- Rn.4 zitiert nach juris).

Auch wenn eine täterschaftliche Begehung durch den Klägerin ausgeräumt ist, weil der Senat hierfür die durch Zeugenaussagen bewiesene und durch die eigenen Angaben des informatorischen angehörten Klägers untermauerte Freifunkereigenschaft des Klägers genügen lässt, stand eine Störerhaftung des Klägers für den auf §§ 97 Abs.1 S.1, 2,19a UrhG gestützten Unterlassungsanspruch weiterhin im Raum. Die schon in BGH, Urteil vom 12. Mai 2010 – I ZR 121/08, Rrn. 22 ff. zitiert nach juris – Sommer unseres Lebens – angesprochene Prüfpflicht mit der Folge der Störerhaftung, wenn gebotene Sicherungsmaßnahmen unterbleiben, besteht nach Auffassung des Senats für „altruistische“ Freifunker auch nach der jüngsten Änderung des § 8 TMG bei richtlinienkonformer Auslegung im Lichte des Urteils des EuGH vom 15. September 2016 – C-484/14 „McFadden“ (GRUR 2016, 1097 ff.) fort. Es kam also bei Beweispflicht des Klägers darauf an, ob er bei Verzicht auf einen Passwortschutz die sonstigen Sicherungsmaßnahmen im Sinne des Beweisbeschlusses vom 19. Januar 2016 (Bd. II Bl. 10 d.A.) tatsächlich und Rechtsverletzungen zumindest hinreichend erschwerend ergriffen hatte. Dies lässt sich nach dem Erkenntnisstand des Senats im Zeitpunkt der Abgabe der Hauptsacheerledigungserklärungen nicht abschließend beantworten. Auch wenn nach dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen V…, der allerdings den Router des Klägers selbst in Nachhinein sinnvoll nicht mehr begutachten konnte, den Angaben der vom Kläger benannten Zeugen P… und R… und den eigenen Bekundungen des informatorisch befragten Klägers schon manches dafür spricht, dass dies der Fall gewesen sein könnte, waren noch etliche Restzweifel und Fragen offen. Anders als vom Kläger schriftsätzlich behauptet worden ist, hatte der Zeuge P… das Aufspielen der Firmware auf den Router des Klägers nicht selbst vorgenommen, der Zeuge R… ohne nicht nicht, so dass die Beweisführung mittelbarer bleiben musste, was die Beweisanforderungen im Übrigen mit prägen muss und ein weiteres Abarbeiten der ohnehin schriftsätzlich von der Beklagten zum schriftlichen Sachverständigengutachten bereits angekündigten Fragen unentbehrlich gemacht hätte. Zur Versionsnummer des verwendeten Zapp-Scripts und zum eingestellten Schwellwert ist selbst aus der Aussage des Zeugen P… wenig Honig zu saugen. Unwägbarkeit und weiteren Aufklärungsbedarf zum Schwellwert wirft auch die Angabe des Zeugen R…, der auch größere Datenmengen heruntergeladen hat, auf, im Jahre 2013 habe es bei Benutzen des klägerischen Freifunkanschlusses durch ihn zwar durchaus mal „geruckelt“, im Ergebnis habe er aber die gewünschte Datenmenge erlangt.

Der bei bloßer Störerhaftung nicht gegebene Schadensersatzanspruch fällt hier entsprechend § 92 Abs. 2 ZPO bei der nach § 91a ZPO zu treffenden Kostenentscheidung nicht ins Gewicht.

B.

Der Streitwert für das Berufungsverfahrens beträgt bis zu 16.000,00 EUR, §§ 3,4 ZPO. Dabei folgt der Senat den Erwägungen der Vorderrichter aus dem Beschluss vom 7. Juli 2015 zur Bewertung der Hauptansprüche, war aber § 4 ZPO zu den Nebenforderungen zu beachten.

 

 

ANMERKUNG

Mir liegt nur der Beschluss des Kammergerichts vom 8.2.2017 vor. Das KG macht dabei Ausführungen, die ich ohne Kenntnis der Akte und der mündlichen Verhandlungen, insbesondere der bisher schon durchgeführten Beweisaufnahme nicht abschließend bewerten kann. Der folgende Beitrag enthält daher einen gewissen Anteil „Kaffeesatzleserei“.

Weil die Konstellation der negativen Feststellungsklage nicht so häufig ist, spreche ich im Folgenden statt von „Kläger und Beklagte“ lieber von „Freifunker“ und „Rechteinhaber“. Dann sind die Rollen klarer.

Zunächst zur Einstimmung der prozessuale Hintergrund:

Die Parteien haben den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Für einen solchen Fall sieht § 91a ZPO ein besonderes Verfahren vor, in dem nur noch über die Kosten des Verfahrens entschieden werden soll. Es soll insbesondere nicht mehr Beweis erhoben werden und es soll auch nicht mehr mündlich verhandelt werden. Denn das, worum es eigentlich ging, ist ja von den Parteien schon beigelegt worden.

Das Gericht muss in solchen Fällen eine Entscheidung nach dem bisherigen Sachstand treffen. Kann das Gericht auf dieser Grundlage eine Entscheidung ohne Weiteres treffen, kann es auch eine relativ klare Kostenentscheidung fällen. Als Beispiel hier: Hätte das Kammergericht gesagt, dass der Rechteinhaber keinen Anspruch gegen den Freifunker hatte, hätte der Rechteinhaber die Kosten voll tragen müssen, oder eben anders herum.

Dies war hier aber nicht der Fall. Das KG hat deutlich gemacht, dass es nach dem bisherigen Stand nochmal hätte Beweis erheben müssen. In solchen Fällen ist es üblich, dass eine Kostenteilung (50/50) vorgenommen wird. Denn wie eine Beweisaufnahme ausgeht, kann (und soll) das Gericht nicht voraussehen.

Trotzdem hat das KG hier eine Kostenquote zu Gunsten des Freifunkers angesetzt. Nach dem oben Gesagten ist die Kostenverteilung 1/3 zu 2/3 eher ungewöhnlich, daher muss man sich die Gründe ganz genau ansehen.

Dabei möchte ich auf die folgenden Punkte näher eingehen: IP-Adressermittlung, Täterhaftung und Störerhaftung.

  1. IP-Adressermittlung

Zwischen den Parteien streitig war – wie in vielen Filesharing-Fällen –, ob die von der Beklagten festgestellte IP-Adresse überhaupt dem Anschluss des Freifunkers zuzuordnen war. Traurige Berühmtheit hat dabei die Firma Guardaley erlangt, das Problem ist aber grundsätzlicher Natur.

Generell ist die IP-Adressermittlung auch nach den vielen Entscheidungen des BGH (z.B. BGH, Urteil vom 11.06.2015 – I ZR 19/14, GRUR 2016, 176 – Tauschbörse I) noch immer eine große Unbekannte. Hier hat sich das Kammergericht aber festgelegt und – wie auch viele andere Gerichte – die Auffassung vertreten, dass es für seine Überzeugungsbildung ausreicht, wenn der Film hier an zwei unterschiedlichen Tagen von der selben IP-Adresse heruntergeladen worden ist.

Die Frage mit dem Reseller ist derzeit in der Rechtsprechung umstritten (s. z.B. OLG Köln, Beschluss vom 27.11.2012 – 6 W 181/12, GRUR-RR 2013, 137; AG Koblenz, Beschluss vom 02.01.2015 – 153 C 3184/14, CR 2015, 190), darauf möchte ich hier aber nicht näher eingehen.

Ergebnis: Die Rechtsverletzung ist (aus Sicht des KG) vom Anschluss des Freifunkers und damit vom Freifunknetz ausgegangen. Dementsprechend muss ein Nutzer dieses Anschlusses den Film angeboten haben.

  1. Täterschaft des Freifunkers

Bei der Haftung für Filesharing muss man immer zwischen der Haftung als Täter und der Haftung als Störer unterscheiden. Täter ist in der Regel, wer die Tat selbst begeht. Täter haften dem Rechteinhaber unproblematisch auf Unterlassung und Schadensersatz. Anders ist es bei der Störerhaftung. Der Störer kann nur auf Unterlassung (und ggf. Ersatz von Abmahnkosten) in Anspruch genommen werden.

Das Kammergericht war sich hier sicher, dass der Freifunker selbst nicht Täter der Rechtsverletzung war. Dafür ist wohl Beweis erhoben worden und das reichte dem Kammergericht. Zur Beweisaufnahme selbst kann ich nichts sagen, aber dass der Freifunk-Betreiber Täter ist, ist in der Regel unwahrscheinlich.

Damit war der Schadensersatzanspruch des Rechteinhabers schon mal vom Tisch, wobei das für das Kammergericht in der Kostenentscheidung entsprechend § 92 Abs. 2 ZPO (geringfügiges Unterliegen) unbeachtlich war. Grund dafür ist, dass der Schadensersatzanspruch vom Streitwert des Gesamtverfahrens her in der Regel gering ist. Hier ging es um einen Streitwert von EUR 16.000,-, wobei der Schadensersatz vermutlich wenige hundert Euro ausmachte.

  1. Störerhaftung des Klägers

Jetzt kommt der spannende Teil und der hält sowohl Positives wie Negatives für Freifunker bereit.

a. Prüfpflichten

Das KG sagt im Wesentlichen, dass im Lichte der „McFadden“-Entscheidung des EuGH (EuGH EUZW 2016, 821 – McFadden; dazu eingehend hier und Mantz, EuZW 2016, 817) den Betreiber eines Freifunk-Netzwerks Prüfungspflichten treffen. Das ist die schlechte Nachricht, die ist aber nach dem EuGH-Urteil nicht mehr überraschend.

In diesem Urteil hatte der EuGH insbesondere eine „Sicherung des Netzwerks“ inklusive Identifizierung des Nutzers als zumutbar erachtet (dazu eingehend hier und Mantz, EuZW 2016, 817).

b. Unterlassung und der neue § 8 TMG

An diesem Punkt von Interesse: Das KG sieht Prüfpflichten „auch nach der jüngsten Änderung des § 8 TMG bei richtlinienkonformer Auslegung“ als zumutbar an. Wir erinnern uns: Die Große Koalition hatte vollmundig behauptet, dass die Störerhaftung bei WLANs mit ihrer Änderung in § 8 TMG abgeschafft würde. Das hatte sie aber nicht in den Gesetzestext reingeschrieben, sondern nur in die Entscheidungsgründe. Meine Prognose war, dass die Rechtsprechung dies nicht ausreichen lassen wird (s. hier und Mantz, EuZW 2016, 817). So ist es nun gekommen. Das KG hat sich damit nicht intensiv befasst (was bei Entscheidungen nach § 91a ZPO nicht ungewöhnlich ist), hat aber ausdrücklich trotz der Neuregelung einen Unterlassungsanspruch nicht ausgeschlossen.

c. Inhalt der Prüfpflichten

In der Folge wird es aber noch einmal richtig interessant: Das KG sagt nämlich trotz des EuGH-Urteils, dass der Freifunker nicht zwingend einen Passwortschutz einrichten musste oder dass eine Registrierung der Nutzer erforderlich wäre, wie das der EuGH ja nahe gelegt hat. Wenn es dies anders gesehen hätte, dann hätte der Kläger hier die Kosten voll tragen müssen, weil er – da er auf ein Passwort oder eine Identifizierung verzichtet hat – als Störer gehaftet hätte.

Nach meinem Kenntnisstand hatte der Freifunker das Zapp-Script installiert. Das ist ein kleines Script, das auf dem WLAN-Router läuft und – stark vereinfacht – im Grunde genommen die Anzahl der von einem Nutzer aufgebauten Verbindungen beobachtet. Nutzt jemand Filesharing, werden in kurzer Zeit viele Verbindungen aufgebaut. Wenn das Script das erkennt, wird der Nutzer wohl gesperrt oder ähnliches.

Das KG hat nun gesagt, dass es über die Frage, ob der Kläger „sonstige Sicherungsmaßnahmen“, die „Rechtsverletzungen zumindest hinreichend erschwert hätten“ (so hatte das der EuGH formuliert) Beweis erheben muss.

Damit positioniert sich das KG so, dass es es für möglich hält, dass das Zapp-Script als eine solche Maßnahme ausreichend sein kann, wobei dies vom eingestellten Schwellwert abhängen könnte.

Dass das KG auf diese Grundlage dem Kläger nur 1/3 der Kosten auferlegt hat, deutet zudem darauf hin, dass das KG es für wahrscheinlich gehalten haben könnte, dass die Beweisaufnahme eine solche hinreichende Erschwerung von Rechtsverletzungen durch das Zapp-Script erbracht hätte und deshalb der Rechteinhaber keinen Anspruch gegen den Freifunker gehabt hätte.

Mit anderen Worten: Ich verstehe das KG so, dass ein ordentlich eingerichtetes Zapp-Script, das Rechtsverletzungen durch Filesharing erschwert, die Störerhaftung des Freifunkers entfallen lassen kann. Das ist die positive Nachricht.

Eine „Unwägbarkeit“ im Hinblick auf die durchzuführende Beweisaufnahme und damit quasi eine Begründung dafür, warum der Freifunker überhaupt einen Teil der Kosten tragen muss, hat das KG darin gesehen, dass der Zeuge R auch „größere Datenmengen“ heruntergeladen hat. Ich weiß nicht, was das bedeutet, weil ich nicht weiß, was der Zeuge R gemacht und was er in der Beweisaufnahme ausgesagt hat. Wenn der Zeuge R im Freifunknetz des Klägers Filesharing ausprobiert hat und dieses durch das Zapp-Script hätte verhindert werden sollen, aber nicht wurde, dann hätte das KG vielleicht eine Störerhaftung des Klägers angenommen. Wenn der Zeuge R aber einfach nur irgendwo per http oder ftp „größere Datenmengen“ (mit „Ruckeln“) heruntergeladen haben sollte, dann hätte das Zapp-Script ja gar nicht anspringen können/müssen, deshalb kann ich diesen Punkt nicht so gut einschätzen.

Fazit

Die Entscheidung des KG ist zum einen für Freifunker (eher) positiv. Denn es macht deutlich, was von Freifunkern verlangt werden kann, um die Anforderungen des EuGH zu erfüllen, ohne dass gleich eine Verschlüsselung und Identifizierung der Nutzer erfolgen muss. Es wäre schön gewesen, wenn der EuGH zum Zapp-Script auch gleich Stellung hätte nehmen können, das war aber vor dem Landgericht München I (dazu hier und Mantz/Sassenberg, MMR 2015, 85) nicht Thema und deshalb war diese Frage an den EuGH auch nicht gerichtet worden. Problematisch ist an dem Ganzen natürlich, dass das Zapp-Script so eingestellt sein muss, dass es Rechtsverletzungen tatsächlich erschwert. Das ist für den Freifunker sicher nicht ganz einfach zu beantworten.

Die Entscheidung des KG stellt zum anderen meiner Meinung nach einen wichtigen Beitrag zur Auslegung der EuGH-Entscheidung dar. Denn sie macht klar, dass das „Verschlüsseln und Registrieren“-Mantra nicht zwingend ist.

Bedauerlich ist – unabhängig von der Entscheidung des KG -, dass die Änderung in § 8 TMG im Grunde keine Verbesserung gebracht hat. Hier müsste wohl auf europäischer Ebene nachgebessert werden.

Störerhaftung – Der Fall Gerlich ./. WVG Medien GmbH geht weiter

Donnerstag, 02. Februar 2017

Kammergericht Berlin by Ansgar Koreng / CC BY-SA 3.0 (DE)

Es handelt sich um einen klassichen Abmahnfall: Eines Tages flattert ein Brief vom Anwalt ins Haus. Ralf Gerlich wird das Herunterladen und somit auch Anbieten eines urheberrechtlich geschützten Films vorgeworfen. Er soll dafür bezahlen sowie eine Unterlassung unterzeichnen. Nun ist es aber so, dass der hier Abgemahnte zum fraglichen Zeitpunkt einen freien Zugang zum Internet öffentlich zur Verfügung stellte und den Film nicht herunter geladen hat.

Statt eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben und sein Netz zuzumachen, sowie einen sogenannten Lizenschaden auszugleichen, entschloss sich Ralf mit Unterstützung der Freifunkerinnen und ihrer Anwältin zur Vorwärtsverteidigung und reichte Mitte 2014 eine negative Feststellungklage ein. Ziel war es gerichtlich feststellen zu lassen, ob Abmahnungen gegen Freifunker rechtswidrig sind. Den ganzen Schriftverkehr findet ihr hier.

Dank der überwältigenden Unterstützung der Spendenkampagne „Operation Störerhaftung“ konnten wir die Zuwendungen nutzen, um diese negative Feststellungsklagen gegen die WVG Medien GmbH und die Twentieth Century Fox Home Entertainment Germany GmbH auf den Weg zu bringen. Zu letzterem hatten wir bereits ein Update gegeben.

Nachdem die Richter die Belege für die IP-Adressermittlung für unzureichend hielten, bekam der Kläger Ralf Gerlich im Juni 2015 vor dem LG Berlin recht. Doch zum eigentlichen Thema – der Frage inwiefern die Störerhaftung hier gilt – kam es in dieser Verhandlung gar nicht erst.

Während wir uns bereits am Ende der Geschichte wähnten und einen weiteren Etappensieg zur Unzulässigkeit der Störerhaftung feierten, entschloss sich der Rechteinhaber jedoch in Berufung zu gehen.

Inhalt dieses weiteren Verfahrens werden voraussichtlich folgende Punkte sein:
1. Beweiskraft von IP-Adressen – Es wurden durch die Klägerseite unter anderem Gegengutachten zur betreffenden Software erstellt. Analyse von Gutachten – Vogt; Gegengutachten GuardaLey – Engling
2. Providerhaftung
3. McFadden-Urteil des EuGH – Dazu hier ein Fachartikel EuGH Entscheidung zur Haftung beim Betrieb eines WLANs
4. Störerhaftung
5. Informations- und Kontrollpflichten
6. Splashpage – Vorschaltseiten dienten auf Freifunkknoten zeitweise der Aufklärung und Aufruf zu Fair Use. Mittlerweile sind sie nicht mehr üblich, da dieses Einklinken in den Datenverkehr als benutzerunfreundlich angesehen wird.
7. Zapp Script – Zur damaligen Zeit lief ein Script in einigen Freifunk-Setups, das Teilnehmer, die tausende Verbindungen in einer Session gleichzeitig öffneten und damit viel Bandbreite für sich in Anspruch nahmen, die Verbindung in dieser Session trennte.

Der Fall geht also weiter und die nächste öffentliche Verhandlung findet am Mittwoch, dem 08.02.2017 um 11 Uhr hier statt:

Raum 147
Kammergericht Berlin
Elßholzstraße 30-33
10781 Berlin

Kommt gerne vorbei und schaut es Euch an.

Freifunker erreicht Klageabweisung vor dem Amtsgericht Hannover

Dienstag, 22. Dezember 2015

Mir liegt ein aktuelles Urteil des Amtsgerichts Hannover vor, in dem es um die Kosten einer Filesharing-Abmahnung aus dem Jahr 2010 ging (AG Hannover, Urt. v. 10.11.2015 – 441 C 1692/14), wobei der Beklagte seit 2006 Mitglied bei Freifunk Hannover ist nach seinem Vortrag einen entsprechenden Knoten betrieben hat.

Die Klägerin behauptete in dem Verfahren, dass vom Internetanschluss des Freifunkers über Filesharing ein Pornofilm angeboten worden sei. Der Beklagte selbst habe das Werk angeboten.

Der Beklagte verteidigte sich einerseits damit, dass er seit 2006 einen Freifunk-Knoten betreibt. Zudem habe sein Bruder Zugang zum Internetanschluss gehabt.

Das Amtsgericht Hannover hat die Klage – nach hiesigem Dafürhalten ohne Kenntnis des vollständigen Falls  zu Recht – abgewiesen und damit dem Freifunker Recht gegeben. Es sei nicht erwiesen, dass der Beklagte das Werk öffentlich zugänglich gemacht habe. Er hafte auch nicht als Störer.

Das Urteil geht auf die Besonderheiten bei Freifunk leider nicht ein. Die Frage, ob der Beklagte sich auf die Privilegierung des § 8 TMG berufen kann und welche Prüfungs- und Überwachungspflichten zu beachten sind, hat das AG Hannover leider nicht thematisiert (anders z.B. das AG Charlottenburg), aber ähnlich wie das LG Berlin, das ebenfalls in einem Freifunk-Fall eine andere Lösung gefunden hatte.

Für die Frage der Haftung als Täter hat das AG Hannover ganz typisch für Filesharing-Fälle darauf abgestellt, dass der Bruder des Beklagten als Täter in Betracht kam und deswegen keine Vermutung zu Lasten des Anschlussinhabers greife (zur Frage dieser Vermutung und den aktuellen Tauschbörse-Entscheidungen des BGH s. hier). Darauf, dass ja auch alle anderen Nutzer des Knotens auf den Internetanschluss zugreifen konnten und deshalb ebenfalls als Täter in Betracht kamen, musste das AG Hannover deshalb nicht mehr eingehen.

Der Beklagte hafte – für seinen Bruder – auch nicht als Störer, da dieser volljährig und deshalb nicht zu belehren sei. Auch insoweit bleibt das Amtsgericht in den normalen Bahnen typischer Filesharing-Fälle.

Interessant ist auch die Argumentation zur Störerhaftung wegen des Freifunk-Knotens, die ja besonders spannend gewesen wäre. Diesbezüglich hat das AG Hannover formuliert:

„Eine Haftung ergibt sich auch nicht aus einer Verletzung der Sicherungspflichten bezüglich der Einrichtung des Internetanschlusses. Da die Klägerin behauptet, der Beklagte habe die Verletzung selbst begangen, schließt das eine Begehung durch Dritte unter widerrechtlicher Nutzung des Anschlusses des Beklagten aus. Im Übrigen lässt sich heute nicht mehr feststellen, ob ein Dritter die Urheberrechtsverletzung begangen hat. Dies ist allerdings Voraussetzung für die Annahme einer Störerhaftung.“

Auch soweit leider nichts wirklich Freifunk-Spezifisches, die Argumentation könnte auch bei einem (möglicherweise nicht hinreichend) gesicherten WLAN greifen. Trotzdem ist es spannend, denn es würde die Klägerin zwingen, hilfsweise vorzutragen, dass ein Dritter über den Internetanschluss die Tat begangen hat. Mir ist der konkrete Vortrag im Verfahren nicht bekannt, so dass ich das nicht beurteilen kann. Die Ausführungen des AG Hannover deuten aber darauf hin, dass auch die Klägerin nicht auf die Spezifika des vorliegenden Falls eingegangen ist, der sich durch den Freifunk-Knoten stark von typischen Fällen unterscheidet und – wie das AG Hannover zeigt – eine besondere Argumentation seitens der Klägerin erforderlich gemacht hätte.

Ich bin gespannt, ob die Klägerin in die Berufung geht (Hinweise gerne an mich in den Kommentaren, per Mail oder Kontakt-Formular) und wie das Landgericht Hannover in diesem Fall entscheiden würde.

Jedenfalls reiht sich die Entscheidung des AG Hannover nahtlos ein. LG Berlin, AG Charlottenburg und (wohl auch) das LG München I (s. auch hier) sehen Freifunker ebenfalls nicht in der Haftung.

(Crosspost von Offene Netze und Recht)