… strafbewehrte Unterlassungserklärung wegen einer Urheberrechtsverletzung.
Ein Berliner Freifunker richtete in seinem Hausprojekt einen Freifunkt-Knoten ein, damit alle Bewohner Zugang zum Internet haben. Die Warner Bros. Entertainment GmbH warf deswegen ihm vor, er habe am 3. Oktober 2016 für zwanzig Sekunden das Filmwerk „Conjuring2“ zum Herunterladen angeboten. Gegen diesen Vorwurf wehrte sich der Anschlussinhaber. Am 29. Juni 2018 urteilte Richter am Landgericht Berlin Raddatz erstinstanzlich, dass der Freifunker für diese Urheberrechtsverletzung verantwortlich sei (Az: 15 O 440/17).
Richter Raddatz vertritt dabei in seinem Urteil die Ansicht, den Anschlussinhaber treffe die Verantwortung, nachvollziehbar vorzutragen
welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen.
Was bedeutete es, wenn wir dieses Urteil in der Praxis anwendeten? Von allen AnschlussinhaberInnen würde erwartet, zu jedem beliebigen Zeitpunkt im Nachhinein aus eigener Kenntnis vortragen zu können, wer auf den Anschluss zugreifen konnte. Es soll jederzeit rückblickend vortragen werden können, welche und wieviele internetfähige eigene und fremde Geräte zum noch unbekannten Tatzeitpunkt mit dem Anschluss verbunden waren und wer auf sie zugreifen konnte.
Mit welchen Mitteln der Freifunker gegen seine Nutzer mindestens vorgehen soll, forderte Warner Bros. in einem 15-punktigen Fragenkatalog, dem sich Richter Raddatz anschloss. Unter anderem soll sich der Freifunker zu folgenden Fragen äußern:
Weshalb hat der Beschwerdeführer nicht auf ihrem eigenen und den Endgeräten der Mitnutzer nach dem Werk und/oder dem Vorhandensein von Tauschbörsensoftware gesucht?
oder
Warum wurde nicht nachgefragt, ob man die Computer der Mitnutzer (gemeinsam) auf etwaige Anhaltspunkte für die Rechtsverletzung untersuchen könnte?
Würde ein Anschlussinhaber diese Forderungen umsetzen, entstünde eine Datensammlung, die bereits das Fernmeldegeheimnis empfindlich verletzen würde. Aus Sicht des Richters Raddatz würde jedoch sogar hierdurch die Verantwortung des Anschlussinhabers nicht entfallen. Er erwartet ja weiter, wie oben zitiert, dass der Anschlussinhaber konkrete Informationen über Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sammelt sowie Auskunft darüber gibt, wer in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatte, die fragliche Urheberrechtsverletzung ohne sein Wissen und Zutun zu begehen.
Übersetzt heißt dies: Der Anschlussinhaber muss umfangreich zum Vorteil der Warner Bros. Entertainment GmbH vortragen, damit sie ihre Ansprüche erfolgreich durchsetzen kann. Zuende gedacht könnte eine Verteidigung gegen eine Abmahnung auf Grund einer Urheberrechtsverletzung nur dann erfolgreich sein, wenn der Anschlussinhaber einen Täter benennt.
Darüberhinaus wird im Wege der realitätsfernen „Lizenzanalogie“ Firmen wie Warner Bros. auch die oft sehr schwierige Aufgabe genommen, den entstanden Schaden zu beziffern und beweisen zu können. Die führt regelmäßig zu horrenden Schadensersatzforderungen. All dies bleibt tagtägliche Praxis vor deutschen Gerichten, obwohl bereits der Eintritt eines Schadens durch Filesharing widerlegt ist – zugunsten einer Milliarden schweren Verwerterindustrie, die seit den 1990iger Jahren wirtschaftliche und personelle Ausrüstung besitzt, um ihre Erwerbsmöglichkeiten im Internet ausreichend zu sichern.
Gegen diese Entscheidung legte der Berliner Freifunker Berufung beim Kammergericht Berlin ein. Das Kammergericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil am 11. November 2019 (24 U 92/18). Es vertritt die Ansicht, dass
die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehnsablaufs nicht bewiesen ist und damit die für die Täterschaft des Klägers als Inhaber des Internetanschlusses entsprechende tatsächliche Vermutung nicht erschüttert (vgl. dazu BGH, Urteil vom 06.10.2016 – IZR 154/15 – Afterlife – Rdn. 19 m.w.N.).
Sie lassen in ihrem Urteil unberücksichtigt, dass einzig in Verfahren wegen Urheberrechtsverletzungen den Anspruchsgegner die Beweislast trifft, er sei nicht Täter.
Statt also in ihrem Urteil die gefährliche Rechtsansicht zu korrigieren, ein Anschlussinhaber habe Beweise zu erbringen, dass die Vermutung seiner Täterschaft falsch ist, bestärken die Richter am Kammergericht Harte (Vorsitzender), Dr. Elzer und Richterin Dr. Kasprik-Teperoglou die Meinung des Richters Raddatz aus der Vorinstanz. In Folge lehnte das Kammergericht die gesetzlich vorgeschriebene Haftungsprivilegierung durch das Telemediengesetzes ab, obwohl durch Zeugenbeweis erwiesen war, dass der Anschlussinhaber einen Freifunk-Knoten zum Tatzeitpunkt betrieb. Denn dem Anschlussinhaber soll es nicht gelungen sein, die Vermutung seiner Täterschaft zu erschüttern.
Nachdenklich sollte uns alle das Kopfschütteln des Vorsitzenden Richters Harte auf meine Ausführungen in der Verhandlung stimmen, seinen Zugang zum Internet Dritten zur Verfügung zu stellen sei für viele Menschen Normalität. Wes Geistes Kind er ist, zeigte er im Anschluss an die öffentliche Sitzung: Er erhöhte den Streitwert kurzum von 10.000 € auf 16.000 € und verursachte damit eine Erhöhung der Prozesskosten durch zwei Gebührensprünge.
Ausblick
Gegen beide Urteile ist die Verfassungsbeschwerde seit dem 23.12.2019 anhängig. Die Anträge lauten:
- Das Urteil des Kammergerichts vom 11.11.2019, 24 U 92/18 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidung ist unter Missachtung seiner Haftungsprivilegierung aus §§ 7 und 8 Telemediengesetz ergangen.
- Das Urteil des Kammergerichts vom 11.11.2019, 24 U 92/18 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.
- Das Urteil des Kammergerichts vom 11.11.2019, 24 U 92/18 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht auf rechtliches Gehör, denn es hat sein Vorbringen über die praktisch unmögliche Umsetzung der Anforderungen an ihn als Anschlussinhaber weder gewürdigt noch in seinem Urteil gezeigt, dass es seinen Vortrag zur Kenntnis genommen hat.
- Die Sache wird an das Kammergericht zurückverwiesen.
Es ist zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht dieser gefährlichen Rechtsprechung entgegentritt. Denn Warner Bros. reichte am 17.12. 2019 gegen den Berliner Freifunker am Landgericht Berlin Klage ein und verlangt darin auch, ihn zu einer strafbewehrten Unterlassungserklärung von 250.000 € oder zu sechs Monaten Haft zu verurteilen. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte dadurch faktisch niemand mehr seinen Internetanschluss teilen – ein beängstigender Gedanke.