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Stellungnahme zu „Digitaler Flüchtlingshilfe“ im Ausschuss Digitale Agenda

Montag, 13. Juni 2016

Am 8. Juni war Monic Meisel als Sachverständige zum Thema „Digitale Flüchtlingshilfe“ zur 66. Sitzung des Ausschusses Digitale Agenda eingeladen.

Ihre dort vorgetragenen Punkte hat Monic auch als schriftliche Stellungnahme verfasst, die hier nachlesbar ist:

Nachdem mein Kollege Christian Heise schon einmal die Gelegenheit hatte, einige Aspekte der digitalen Flüchtlingshilfe mit Ihnen anzusprechen, freue ich mich über die Gelegenheit, mit Ihnen über die neueren Entwicklungen zu sprechen. Ich bin Mitbegründerin der Initiative freifunk.net und des Unterstützerkreises des Refugees Emancipation e. V. Hinter beiden Projekten steht der Förderverein freie Netzwerke e. V., in dem ich Mitglied des Vorstandes bin.

Zu den Projekten:

Der Förderverein freie Netzwerke e. V. beschäftigt sich seit 2003 gemeinsam mit über 300 lokalen Freifunk-Gruppen mit dem Aufbau nicht-kommerzieller, dezentraler IT-Infrastrukturen, Bildung und Kultur zu digitalen Datennetzen sowie mit der Förderung lokaler Kommunikation.

Freifunker_innen bauen in Eigenregie freie IT Infrastruktur auf. Wir teilen in diesen unabhängigen Netzwerken Zugang zum Internet und machen diesen öffentlich und anonym zugänglich. In den Freifunk-Netzen werden aber auch unabhängig vom Internet lokal Dienste und Informationen angeboten.
Wir engagieren uns ehrenamtlich und agieren dezentral. Wir setzen uns FÜR Netzneutralität und Datensparsamkeit und GEGEN Überwachung und Zensur ein. Unser Ziel ist dabei die ungehinderte Verbreitung von Wissen und Ressourcen.

Seit 2012 sind viele der Freifunker_innen in der digitalen Flüchtlingshilfe aktiv und haben bisher über 350 Einrichtungen mit Zugang zum Internet ausgestattet und damit die Voraussetzung für die digitale Flüchtlingshilfe geschaffen.

2014 initiierte der Förderverein freie Netzwerke mit weiteren Organisationen den Unterstützerkreis des Refugees Emancipation e. V.

Refugees Emancipation (RE) ist von Geflüchteten selbst organisiert und richtet in Unterkünften Internetcafés ein. Dabei ist die Organisation von Computerkursen und Bildungsarbeit ein wesentlicher Aspekt. ABER die Cafés bilden eben auch einen Ort der Begegnung, um der Isolation der Heimbewohner entgegenzuwirken. Sie ermöglichen Abwechslung im tristen Heimalltag und Gelegenheit zum Austausch untereinander. Die Administratoren der Cafés sind wichtige Ansprechpartner und Informations-Hubs unter den Bewohnern für alle möglichen Fragen, weit über Computerkenntnisse hinaus.

Beide Projekte bieten seit mehr als 15 Jahren Hilfe zur Selbsthilfe, klären über digitale Infrastrukturen auf, fördern vorhandene und neue Sozialstrukturen und tragen zur Bildung und Kultur bezüglich kabelloser und kabelgebundener Computernetzwerke, die der Allgemeinheit zugänglich sind (freie Netzwerke), bei. Dies ist gesamtgesellschaftlich wichtig, denn Deutschland hängt nicht nur bei Technik-/Medienkompetenz der Bevölkerung hinterher, sondern vor allem in puncto Breitbandausbau. Der in der Digitalen Agenda geforderte marktgetriebene Internet-Ausbau funktioniert nicht überall und für alle. Ländliche und öffentliche Räume sowie soziale oder kulturelle Projekte bieten eben kein ausreichendes Geschäftsmodell und bleiben somit unterversorgt.

Besonders betroffen sind davon Menschen, denen finanzielle Mittel fehlen. Ein wichtiges Ziel unseres gemeinsamen Engagements ist die Verminderung der digitalen Spaltung. Eben Chu, Mitgründer von RE sagt: „Internet is not a luxury, it’s a necessity.“ Nicht nur unserer Meinung nach ist Zugang zum Netz ein Menschenrecht.

Er bildet die Voraussetzung, um u. a. das Recht auf freie Meinungsäußerung oder Informations-/Kommunikationsfreiheit wahrnehmen zu können. Dies haben der Menschenrechtsrat und das europäische Parlament bereits mehrfach bestätigt. Das Recht auf Bildung ist in der Genfer Flüchtlingskonvention verankert.

Auch in Deutschland wurden zum Thema „Recht auf Zugang“ bereits vom Bundesverfassungsgericht und BGH entsprechende Urteile gefällt.

Der Zugang zum Internet bildet außerdem die Grundlage für alle anderen Initiativen im Rahmen der digitalen Flüchtlingshilfe. Lassen Sie uns also nicht mehr darüber diskutieren, ob Zugang zum Netz wichtig ist.

Lassen Sie uns stattdessen besprechen, wie Breitbandzugang zum Netz für alle Menschen in Deutschland zügig umsetzbar ist.

Zur aktuellen Situation:

Die Bereitschaft zu helfen ist gerade innerhalb der Tech-Community immer noch groß. Unternehmen spenden Hardware und Ausstattung, aber vor allem spenden Menschen Zeit für Installationen und Einrichtung von Zugängen und Computer-Arbeitsplätzen. In Workshops wird Technik- und Medienkompetenz vermittelt.

Schaut man sich die Kooperationsbereitschaft der Betreiber von Flüchtlingseinrichtungen an, ist diese sehr unterschiedlich ausgeprägt. Es braucht nachbarschaftliche Unterstützergruppen, die dabei unterstützen, die Aktivitäten zu ermöglichen. Es braucht auch die genannte Rechtssicherheit, da noch immer viele Betreiber auf Grund der Rechtslage von der Bereitstellung von Internetzugängen absehen.

RE engagiert sich überwiegend in Dauerunterkünften in Berlin-Brandenburg und hält zur Zeit 8 Internetcafés und ein Büro in Betrieb. Es gibt teilweise Rückschläge, da aus unterschiedlichen Gründen bestehende Internetcafés in Unterkünften wieder geschlossen werden mussten. Besonders schwierig ist es, überhaupt Räumlichkeiten innerhalb der Unterkünfte zur Selbstverwaltung zu bekommen, die Unterzeichnung entsprechender Nutzungsverträge zieht sich lange hin. Logistische Probleme sind aufgrund hoher Fahrt-  und Transportkosten an der Tagesordnung.

Es ist schwierig, die Administration der Internetcafés zu stabilisieren, da die Geflüchteten nun einmal in instabilen Umständen stecken. Die Frustration durch lange Zeiten ohne Aktivität, geschweige denn (bezahlte) Beschäftigung ist groß, die Menschen langweilen sich jeden Tag. Wochenlang. Teilweise jahrelang.

Freifunker_innen engagieren sich viel in Notunterkünften und haben vor allem mit der Angst vor Abmahnungen zu kämpfen. Zum Schutz gegen die Störerhaftung werden technische Lösungen aufrecht erhalten, die Aufwand und Kosten verursachen, aber vor allem das Netz viel langsamer machen, als es sein müsste.

Häufig sind aber auch schlicht keine breitbandigen Internetzugänge in Turnhallen oder ähnlichem verfügbar, die sich mittels WLAN öffnen ließen. Dann springen Nachbarn oder Unternehmen ein und es wird mittels Freifunkeigenen Richtfunknetzen von außen Zugang zur Verfügung gestellt. Die Kapazität reicht dann bei der Menge an Nutzern nur für schmalbandige Internetverbindungen. Bauliche Gegebenheiten wie in Containersiedlungen führen dazu, dass das WLAN nicht überall zugänglich gemacht werden kann.

Manchmal geht es auch um die Kostenübernahme für den Internetanschluss, obwohl schon ein 50 oder 100 Mbit Zugang eine Grundversorgung ermöglichen würde … umgerechnet auf die Anzahl der Nutzer_innen eigentlich ein verschwindender Betrag.

Sie müssten die Menschen sehen… Helfer und Geflüchtete sind jedes Mal überglücklich, wenn sie Internet bekommen! Es ermöglicht, sich zu orientieren und zu informieren, E-Mails und Nachrichten auszutuaschen, sinnvolle Beschäftigung oder einfach Ablenkung zu finden.

Welche Rahmenbedingungen kann die Politik setzen?

  1. Die Beendigung der Rechtunsicherheit bzgl. öffentlich zur Verfügung gestellten Internetanschlüssen ist am 02.06.2016 leider nicht vollständig beseitigt worden. Dies sehen alle Akteure bis auf die Regierungsparteien so  und die Abmahnkanzleien kündigen bereits öffentlich an, weiter zu machen wie bisher. Glauben Sie nun, dass öffentliche Einrichtungen und Unterkunftsbetreiber in dieser Lage WLAN offen anbieten, oder müssen weiter Ehrenamtler mit technischen Lösungen, Rechtsberatung und viel Aufwand einspringen? Das neue Gesetz geht nicht weit genug!
  2. Die Qualitätsanforderungen in den Betreiberverträgen für die Unterbringung von Menschen, egal ob in Obdachlosenheimen oder Unterkünften von Geflüchteten muss unzensierten, freien Internetzugang in ausreichender Verfügbarkeit umfassen. Ebenso wie die kostenlose Bereitstellung von Räumen und Endgeräten für Bildung, Information und Kommunikation. Diese Anforderungen müssen kontrolliert und Betreiber bei Nichteinhaltung sanktioniert werden.
  3. Ein Skandal ist: Die Kürzung der Telekommunikationspauschale für Geflüchtete, in deren Unterkunft WLAN vorhanden ist, wie in Bayern geschehen. Es ist nicht nur frustrierend, da diese WLAN-Zugänge von Ehrenamtlern aufgebaut und nicht aus öffentlichen Mitteln finanziert wurden, sondern vor allem unzulässig in der Sache. Es können eben nicht alle Bewohner bzw. einige nur unzureichend davon profitieren. Einerseits ersetzt diese Minimalstversorgung keinesfalls die Möglichkeit zu telefonieren oder unterwegs mobiles Internet nutzen zu können, andererseits verfügen nicht alle Geflüchteten über Endgeräte.
  4. Die Förderung von Maßnahmen zur Vernetzung der Helfer-Gruppen untereinander und mit der Verwaltung, Maßnahmen zur Aufklärung der Betreiber und Nachbarn, sowie die Bereitstellung von Sachmitteln im Bereich des digitalen Ehrenamtes sind notwendig.
  5. Es sollte eine besondere finanzielle Förderung von Initiativen geben, die Geflüchtete aktiv einbinden, indem sie auch Arbeitsplätze und somit Perspektiven für diese schaffen.
  6. Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit der Freifunk-Vereine steht weiterhin ungeklärt im Raum, obwohl altruistisch und unentgeltlich, vor allem aber ohne Zugangsbeschränkungen, Internet als öffentlicher Raum zugänglich gemacht wird.
  7. Außerdem muss die Verlängerung der „Steuerlichen Maßnahmen zur Förderung der Hilfe für Flüchtlinge“ über 2016 hinaus dringend beschlossen werden
  8. Sie können den Abbau von bürokratischen Hürden voran treiben und vertrauenswürdige Ansprechpartner bereitstellen, um den Kampf mit dem Verwaltungsdschungel für Engagierte besser und schneller bewältigbar zu machen.
  9. Die Anerkennung des digitalen Ehrenamtes mittels entsprechender Auszeichnungen steht an, um das öffentliche Bewusstsein für dieses wichtige zivilgesellschaftliche Engagement zu stärken.
  10. Weitere Punkte, an denen gearbeitet werden muss, um Hindernisse speziell für WLAN-Initiativen auszuräumen, sind:
    • Die EU-Direktive zu Funkanlagen, welche die Verwendung von alternativer Software zu verhindern droht und Sicherheitsrisiken eröffnet, kann nicht 1:1 ins deutsche Recht übernommen werden.
    • Die Einführung von LTE-U, die das lizenzfreie 5 GHz Band für WLAN schwer nutzbar bis vollständig blockiert und somit unsere Richtfunkstrecken zur Versorgung von Unterkünften unbrauchbar macht, muss verhindert werden.
    • Die weitere Übernutzung der lizenfreien WLAN-Funkfrequenzen durch kommerzielle Anbieter, z. B. durch den Konsumenten aufgezwungenes Offloading, muss eingeschränkt werden.
    • Es fehlt es an Frequenzen explizit für nicht-kommerzielle Betreiber.

An dieser Stelle möchte ich auch noch mal für das Schreiben einer Abgeordneten aus dem Ausschuss an uns danken, wir hoffen sehr dass auch die anderen Abgeordneten unser Engagement unterstützen und weiter an der Verbesserung der Rahmenbedingungen arbeiten.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Die gesamte Ausschusssitzung ist als Aufzeichnung verfügbar: