Nein, der Internetanschluss ist keine Gefahrenquelle!
Gute zwei Jahre war die Verfassungsbeschwerde des Freifunkers V. beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Leider bleiben nun wichtige grundrechtliche Fragen zu offenen WLAN-Hotspots unbeantwortet, denn es wurde zwar ein internes Gutachten zu diesem Fall vom Bundesverfassungsgericht erstellt, jedoch die Nichtannahme-Entscheidung ohne Begründung mitgeteilt. Den grundrechtlich noch immer offenen Fragen liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Von PTG Nevada, LLC, 9601 Wilshire Blvd., Suite 700, Beverly Hills, CA, 90210, Vereinigte Staaten wurde Freifunker V. am 06.11.2015 mittels einer Abmahnung die Verletzung ihres Urheberrechts durch Filesharing vorgeworfen. Schriftlich teilte er der PTG Nevada mit, dass er die vorgeworfene Rechtsverletzung nicht beging. Er betreibt einen Freifunk-Knoten, welchen er seinen Mitbewohnerinnen, seinen Besuchern und Gästen über WLAN zur Verfügung stellt. Zum Zeitpunkt der Abmahnung waren sowohl seine Mitbewohnerinnen wie auch Besucher anwesend. Nachforschungen ergaben keinen Hinweis darauf, wer die Urheberrechtsverletzung begangen haben könnte. Insbesondere war das gegenständliche Werk niemanden bekannt.
Mit Urteil des Amtsgericht Charlottenburg vom 15.12.2016, Az.: 210 C 308/16 wurde die Haftung des Freifunkers begründet:
Nach den Grundsätzen der Rechtssprechung des EuGH ist die Verhinderung von Verletzungshandlungen dem Kläger auch bei Beachtung des § 8 TMG, welchem Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 200/31 zu Grunde liegt, auszulegen ist, zuzumuten.
Danach sei der Beschwerdeführer Störer und hafte der PTG Nevada auf Unterlassen – mit der Folge, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben zu müssen und deshalb aktiv die nächsten 30 Jahre zu verhindern, dass der streitgegenständliche Film über seinen Internetanschluss zum Download angeboten wird. Da Privatpersonen weder die personellen noch die wirtschaftlichen Möglichkeiten dazu besitzen, bedeutet eine solche Zeichnung der Unterlassungserklärung, dass der Anschluss dauerhaft für 30 Jahre geschlossen werden muss. Alle Mitbewohner, Besucher und Gäste müssten zukünftig ihren eigenen Anschluss ins Internet mitbringen. Für die Wohnung des Beschwerdeführers müssten drei Verträge mit Providern geschlossen werden, damit jeder frei von Überwachung durch einen Mitbewohner einen eigenen Internetanschluss nutzen kann.
Am 5.9.2017 wurde seine Berufung mit Beschluss nach § 522 ZPO, Az.: 15 S 5/17 zurückgewiesen. Begründung findet der Beschluss mit dem Verweis auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf (GRUR 2017, 811 – WLAN Hotspot – Rn. 15 f). Danach handle der Freifunker sorgfaltswidrig, wenn er ohne Sicherungsmaßnahmen gegen drohende Urheberrechtsverletzung durch Filesharing die Identität der Nutzer vor Zugangseröffnung zu seinem Netzwerk nicht festgestellt hat.
Diese Rechtssprechung geht von folgenden falschen Annahmen aus:
- Der Internetzugang stelle eine Gefahrenquelle dar. Es ist das erste mal überhaupt, dass ein Kommunikationsmedium als Gefahrenquelle angesehen wird. Hier wird nicht auf die Werkzeuge abgestellt, die im Internet benutzt werden, sondern auf eine grundsätzliche Gefährlichkeit. Bei der alltäglichen Nutzung des Internets durch 80 % der Bürger liegen Rechtsverletzungen jedoch im Promillebereich.
- Der Anschlussinhaber sei Täter. Er muss sich aus eigener Kraft entlasten. Voraussetzung für eine solche Annahme wäre aber, dass mindestens 50 % der Anschlussinhaber ihren Anschluss alleine nutzen. In Deutschland lebt und arbeitet die absolute Mehrheit mit anderen Personen zusammen und sie teilt sich den Internetanschluss mit anderen Personen. Die tatsächliche Vermutung hat also mit den tatsächlichen Umständen nichts zu tun. Nur in absoluten Ausnahmefällen benutzt der Anschlussinhaber seinen Zugang alleine.
Diese rechtlichen Krücken wurden von der Rechtsprechung entwickelt, um eine sogenannte Rechtslücke zu füllen. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber eine Regelung für die vorliegenden Sachverhalte nicht getroffen habe. Es gab also keine Vorgaben durch den Gesetzgeber, die durch die Rechtsprechung (wie bei Gesetzeslücken) gefüllt werden konnten. Begründet wird die Füllung der Rechtslücke damit, dass sonst die Verwertungsindustrie niemanden haftbar machen könne, wenn der Täter nicht ausfindig gemacht werden kann. Es müssen nach dieser Rechtsprechung also unbeteiligte Dritte in die Haftung mit einbezogen werden. Dies stellt einen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG dar.
Eine dritte unbeteiligte Privatperson muss eigenständig Maßnahmen ergreifen, um Rechte einer milliardenschweren Content-Industrie zu sichern. Hier wird in die allgemeine Handlungsfreiheit Art. 2 Abs. 1 GG von hunderttausenden Anschlussinhabern eingegriffen. Ob und in welchem Umfang es Filesharing gibt, hat jedoch nach wissenschaftlichen Erkenntnissen keinen Einfluss auf das Vergütungsmodell für Urheber.
Die Rechte der Nutzer des Anschlusses auf Kommunikations- und Informationsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 S. 2 GG werden nicht mit dem geistigen Eigentum abgewogen. Sie fließen nicht in die richterlichen Entscheidungen ein.
Das Setzen eines Passwortes führt nicht zum Rückgang von Filesharing, da die tausenden Abmahnungen, die täglich von der Abmahnindustrie an Privatpersonen versendet werden, zu über 90 % an Anschlussinhaber mit vorgeschaltetem Passwortschutz ergehen.
Bei mehr als einem Nutzer müssen, um die Rechtsverfolgung zu ermöglichen, Verkehrsdaten von dem privaten Anschlussinhaber mitgeloggt werden. Das stellt einen gefährlichen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis, Art. 10 GG dar. Privatpersonen müssten sich demnach gegenseitig ausspionieren können. Niemand, schon gar nicht Eltern, Mitbewohner, Vermieter an Untermieter, Arbeitgeber und viele mehr dürfen auf Grund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und der Konkretisierung in § 4 Abs. 1 BDSG diese Daten erheben, noch speichern oder gar an Dritte übermitteln. Dieses Verbot durch Füllen einer Rechtslücke zu umgehen und keine Abwägung der Rechte miteinander durchzuführen, stellt einen eklatanten und gefährlichen Eingriff in die freiheitliche Rechtsordnung dar.
Die angegriffenen Entscheidungen enthalten weder die Nennung noch eine Abwägung mit den grundrechtlich geschützten Rechten des Beschwerdeführers.
Der EuGH hat in seinem Urteil McFadden vom 15.09.2016 – C-484/14 eine Leitlinie zur Grundrechtsabwägung aufgestellt:
Wenn sich mehrere unionsrechtlich geschützte Grundrechte widerstreiten, obliegt es den innerstaatlichen Gerichten, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen diesen Rechten sicherzustellen (insoweit wird verweist der EuGH auf das Urteil vom 29.01.2008, Promusicae, C-275/06, EU:C:2008:54 Rn 68 und 70).
Die Informationsfreiheit wäre bei der Pflicht zur Setzung eines Passwortes nur verletzt, wenn dieser Internetanschluss nur ein Mittel unter anderen für den Zugang zum Internet bildet. Mit anderen Worten: Es muss im Einzelfall gewährleistet sein, dass die Nutzer auch andere Zugangsmöglichkeiten zum Internet haben. Dies muss im Einzelfall geprüft werden.
Besteht die Möglichkeit nicht, auf andere Weise rechtmäßigen Zugang zu
Informationen aus dem Internet zu erlangen, wäre der Eingriff des Anbieters in die Informationsfreiheit dieser Nutzer – gemessen am verfolgten Ziel – nicht gerechtfertigt (auch hier verweist der EuGH auf sein Urteil vom 27.03.2014, UPC Telekabel Wien, C-314/12, EU:C:2014:192, Rn 56).
Der Passwortschutz muss auch wirkungsvoll sein, d. h. er muss bewirken, dass unerlaubte Zugriffe auf die Schutzgegenstände verhindert oder zumindest erschwert werden und dass die Internetnutzer, die die Dienste des Adressaten der Anordnung in Anspruch nehmen, zuverlässig davon abgehalten werden, auf die ihnen unter Verletzung des genannten Grundrechts zugänglich gemachten Schutzgegenstandes zuzugreifen (vgl. Urteil UPC Tolerabel Wien). Genau hier scheitert der Passwortschutz an der Wirklichkeit, denn jede Familie, Wohngemeinschaft, jedes Büro, Unternehmen des öffentlichen Verkehrs, Hotels und viele mehr halten entweder ihr Passwort in den Räumlichkeiten für jeden sichtbar bereit oder haben gar keinen Passwortschutz. Tatsächlich handelt es sich bei der Idee des Passwortschutzes um ein Placebo, das den gewünschten Erfolg nicht erreicht, Urheberrechte zu schützen.
Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne muss auch der Frage nachgegangen werden, wie stark die Beschränkung durch einen Passwortschutz und der dazugehörigen Datensammlung der Nutzer tatsächlich im Einzelfall ist. Kann hier im Bereich der Kommunikations- und Informationsfreiheit wirklich von einer reinen technischen Modalität ausgegangen werden, oder stellt dies bereits einen Eingriff in die Freiheiten dar – mit der Folge, dass das Kommunikationsverhalten sich den Eingriffen anpaßt und verändert?
Es muss folglich in einer Einzelfallprüfung der Frage nachgegangen werden, wie stark ein Passwortschutz und die Pflicht, Verkehrsdaten der Nutzer zu speichern, in das Kommunikationsverhalten eingreifen. Wie stark behindert eine solche Pflicht die Informationsfreiheit der Nutzer; verlieren Nutzer ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung an Personen, die eine Vertragsbeziehung mit einem Provider haben? Wenn zum Zwecke der Rechtsverfolgung die Kommunikationsdaten gespeichert werden müssen, welche Anforderungen sind daran zu stellen? Werden diese auf Webservern gespeichert, kann schließlich jedermann auf diese Daten zugreifen.
Grundrechte haben neben ihrer primären Funktion als Abwehrrechte verschiedene Zielrichtungen, die anhand ihrer subjektiv-rechtlichen Grundrechtswirkung und der objektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension ausdifferenziert werden. Die objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte gibt dem Staat u. a. auf, die Funktionalität von Grundrechten zu gewährleisten. Dies gilt vor allem auch dann, wenn Grundrechtsberechtigte auf spezifische Voraussetzungen für die Ausübung grundrechtlicher Freiheit angewiesen sind. Die Nutzung der elektronisch vernetzten Kommunikation des Internets gehört mittlerweile zur kommunikativen Grundversorgung der Bevölkerung (BGH, NJW 2013, 1072 ff.), die der Staat im Rahmen seiner verfassungsrechtlich determinierten Gewährleistungsverantwortung (Art. 87 f GG), aber auch in Umsetzung der objektiv-rechtlichen Gehalte der Grundrechte (Art. 5 GG) sowie des Sozialstaatsgebots (Art. 20 Abs. 1 GG) sicherzustellen hat. Dienste und Infrastruktur, die für die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheit im Internet von zentraler Bedeutung sind, bilden die konstitutive Voraussetzung, um grundrechtliche Freiheit zu verwirklichen. Die Ermöglichung des Grundrechtsgebrauchs geht daher mit einer erhöhten Grundrechtspflichtigkeit des Staates einher.
Die Verschiebung privater Informationsmacht im Internet und die dadurch entstandenen Grundrechtsgefährdungslagen lassen sich angesichts des Gebots einer effektiven Sicherung grundrechtlicher Freiheitssphären dennoch grundrechtlich hinreichend abbilden. So wirken die Grundrechte im Verhältnis zwischen Privaten nicht als stumpfes Schwert, sondern können auch hier eine mäßigende, regulierende Wirkung entfalten. Zuvörderst gilt im Privatverkehr aber die individuelle Selbstbestimmung des Einzelnen, die sich auch in der Freiheit sich zu offenbaren und die eigenen Daten der Kommerzialisierung preiszugeben, niederschlagen kann. Der autonome vertragliche Interessenausgleich ist hinzunehmen und bedarf daher dem Grunde nach keiner staatlichen Korrektur. Ein sich paternalistisch aufdrängender Schutz liefe dieser grundrechtlich abgesicherten Möglichkeit der Freiheitsausübung zuwider. Die Ausstrahlungswirkung und damit die grundrechtliche Determinationskraft intensiviert sich aber in Fällen, in denen der Schutz personaler Freiheit von wirtschaftlicher und sozialer Macht erheblich bedrängt wird oder in denen sich eine krass ungleiche Handlungsmacht abzeichnet, welche die Autonomie des Einzelnen unangemessen begrenzt bzw. Fremdbestimmung Selbstbestimmung ablöst.
Die damit einhergehende mittelbare Drittwirkung kann dazu führen, dass Private trotz ihrer Grundrechtsberechtigung ähnlich oder auch genauso weit wie der Staat durch die Grundrechte in Pflicht genommen werden, sofern in tatsächlicher Hinsicht eine vergleichbare Pflichten- oder Garantenstellung besteht. So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem obiter dictum in der Fraport-Entscheidung zum Ausdruck gebracht, dass je nach Gewährleistungsinhalt und Fallgestaltung die mittelbare Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staates vielmehr nahe oder auch gleichkommen kann. Die zivilrechtliche Gleichordnung der Privatrechtssubjekte wird damit zwar kraft grundrechtlicher Einwirkung durchbrochen, dies findet aber seine Rechtfertigung gerade im Hinblick auf den Schutz hochwertiger Grundrechtsgüter, die in Fallgestaltungen evident ungleicher Verhandlungs- bzw. Machtpositionen nicht verwirklicht werden können. Als eine solche Konstellation kommt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Bereitstellung der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation durch private Unternehmen in Betracht, die früher vom Staat erbracht wurde. Dieser Ansatz weist entsprechende Parallelen zur Rechtsprechung des EuGH zur Drittwirkung von Grundfreiheiten auf. Auch hier kann eine Erweiterung des Kreises der Normadressaten bzw. eine verstärkte Verpflichtung aus der wirtschaftlichen und regulierenden Übermacht des Privaten erwachsen, sofern eine Qualifizierung als intermediäre Gewalt möglich erscheint. Die Nutzung der elektronisch vernetzten Kommunikation des Internets gehört mittlerweile zur kommunikativen Grundversorgung der Bevölkerung, die der Staat im Rahmen seiner verfassungsrechtlich determinierten Gewährleistungsverantwortung (Art. 87f GG), aber auch in Umsetzung der objektiv-rechtlichen Gehalte der Grundrechte (Art. 5 GG) sowie des Sozialstaatsgebots (Art. 20 Abs. 1 GG) sicherzustellen hat. Dienste und Infrastruktur, die für die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheit im Internet von zentraler Bedeutung sind, bilden die konstitutive Voraussetzung, um grundrechtliche Freiheit zu verwirklichen. Die Ermöglichung des Grundrechtsgebrauchs geht daher mit einer erhöhten Grundrechtspflichtigkeit einher, die zu einer Verstärkung der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte führen kann. Dies gilt namentlich für marktmächtige Unternehmen im Internet, denen aufgrund ihrer faktischen Regelungsmacht ein erhebliches Einwirkungspotenzial auf die Rahmenbedingungen der öffentlichen Kommunikation im Internet zukommt. Sofern die faktische Regelungsmacht unter Umgehung der Selbstbestimmung des Betroffenen genutzt wird, dessen Daten zu verarbeiten, dürfte als ausgleichendes Korrektiv der Gewährleistungsinhalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eine verstärkte mittelbare Grundrechtsbindung implizieren. Das regulative Einwirkungspotenzial der grundrechtlichen Steuerungsvorgabe wird daher aller Voraussicht nach erheblich an Bedeutung gewinnen.
Nach alledem kann die vorgenommene Abwägung der Interessen aller Beteiligten nur dazu führen, dass die Rechte von Millionen Bürger auf einen freien und unkontrollierten Internetzugang gewährleistet bleibt, den sie für ihre private und berufliche Kommunikation benötigen. Es muss ausgeschlossen sein, dass Bürger sich gegenseitig überwachen müssen, um eventuellen zivilrechtlichen Ansprüchen der Rechteinhaber zu entgehen.