Für das am 12.5.2010 verkündete Urteil des BGH zur Haftung des Inhabers eines Internetanschlusses mit WLAN liegt mittlerweile die Begründung vor, nachdem sich zuvor alle Äusserungen nur auf die Pressemitteilung des BGH bezogen konnten (s. http://openjur.de/u/32452-i_zr_121-08.html).
1. Unklare Sachlage
Obwohl über den Fall schon mehrfach geschrieben wurde, ist die tatsächliche Grundlage des Urteils auch mit Vorliegen der Urteilsgründe leider noch nicht vollends geklärt. Unklar ist nämlich, wie das WLAN des Beklagten gesichert war. S. dazu auch http://www.telemedicus.info/article/1774-Der-BGH-zur-WLAN-Haftung.html
2. Die Entscheidung des BGH
Auf Rechtsfolgenseite hat der BGH folgendes entschieden:
– Ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten scheidet aus.
– Der Beklagte haftet als Störer grundsätzlich auf Unterlassen, allerdings soll die Klägerin ihren Unterlassensantrag vor dem OLG Frankfurt noch präzisieren, insofern wird an das OLG Frankfurt zurückverwiesen.
– Wegen der Kosten wird ebenfalls an das OLG Frankfurt verwiesen.
3. Eine kurze Analyse der wesentlichen Punkte der Urteilsgründe
Das Urteil des BGH ist bisher ingesamt eher negativ aufgenommen worden. Das liegt nicht unbedingt am Ergebnis, sondern vielmehr daran, dass der BGH nicht nur die Chance vertan hat, seit dem Urteil des LG Hamburg aus dem Jahr 2006 bestehende Rechtsfragen im Hinblick auf die Störerhaftung für WLAN-Netzwerke zu klären, sondern darüber hinaus selbst in den Fragen, die der BGH definitiv hätte beantworten können oder müssen, für neue Verwirrung gesorgt hat.
a) Keine Haftung auf Schadensersatz
Der BGH hat relativ ausführlich zur Frage Stellung genommen, ob der Beklagte als Täter oder Teilnehmer der Rechtsverletzung haftet. Dabei muss man stets im Hinterkopf behalten, dass für diese Haftung nach §§ 19a, 97 UrhG ein Verschulden des Beklagten nachgewiesen und begründet werden muss. Auch wenn die Ausführungen zur Schadensersatzhaftung einen guten Eindruck machen, war hier eine andere Behandlung kaum denkbar.
aa) Sekundäre Darlegungslast zur Täterschaft und Routerprotokolle
Zunächst hat der BGH festgestellt, dass den Beklagte in einem Filesharing-Verfahren eine sekundäre Darlegungslast trifft und sich darin dem insoweit meinungsführenden OLG Köln angeschlossen. Dabei ist zu beachten, dass die sekundäre Darlegungslast keinen Vollbeweis erfordert. Es reicht vielmehr aus, den Vortrag der Klägerin substantiiert zu erschüttern, was zugegebenermassen häufig einem Vollbeweis nahekommt.
Vorliegend reicht es laut dem BGH aus, dass die Klägerin darlegt, dass der Beklagte Anschlussinhaber des für die Rechtsverletzung genutzten Anschlusses ist. Dem ist der Beklagte erfolgreich damit entgegengetreten, dass er zum fraglichen Zeitpunkt unstreitig im Urlaub war. In solchen Fällen ist es also hilfreich, wenn es Zeugen dafür gibt, dass man zum fraglichen Zeitpunkt auf der Arbeit war, im Urlaub, im Sportclub etc.
bb) Keine Übertragung der Halzband-Entscheidung
Die immer wieder ins Feld geführte Entscheidung „Halzband“ (BGH NJW 2009, 1960) ist laut BGH nicht übertragbar, da eine IP-Adresse gerade keine eindeutige Identifizierungsfunktion innehat. Ganz im Gegenteil stellt der BGH erfreulicherweise fest, dass der Inhaber des Anschlusses dazu berechtigt ist, beliebigen Dritten seinen Anschluss zur Verfügung zu stellen.
b) Ausführungen zur Störerhaftung
Anders als bei der Verschuldenshaftung lässt der BGH bei der Begründung der Annahme der Störerhaftung (http://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%B6rerhaftung) einige klärende Antworten vermissen. Zur Erinnerung: Störerhaftung erfordert eine adäquat-kausale Mitwirkung an der Rechtsverletzung, eine Abhilfemöglichkeit und die Verletzung von Prüfungs- und Überwachungspflichten, die im Ergebnis eine Abwägung der beteiligten Interessen darstellt.
aa) Adäquate Kausalität
Der BGH hat – auf einer Linie mit dem LG Hamburg und der erstinstanzlichen Entscheidung des LG Frankfurt die adäquate Kausalität der Handlungen des Beklagten angenommen. Adäquate Kausalität liegt verkürzt gesprochen vor, wenn ein Ergebnis oder Kausalverlauf nicht vollkommen unwahrscheinlich und fern jeder Lebenserfahrung ist. Dies ist auf den ersten Blick der Fall. Allerdings hat das OLG Frankfurt hier darauf abgestellt, dass keine Daten dazu vorliegen, ob WLAN-Netze durch Dritte genutzt werden.
Diese Frage stellt sich noch deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Netz des Beklagten tatsächlich gesichert war. Während man bei einem unverschlüsselten Netz noch davon ausgehen kann, dass dieses evtl. von Dritten genutzt wird, wenn sie darüber „stolpern“, ist dies bei einem mit Verschlüsselung und Passwort gesicherten Netz nicht der Fall. Ganz im Gegenteil ist es völlig unwahrscheinlich, dass sich jemand bewusst in ein gesichertes Netz begibt und dieses nutzt – unabhängig davon, ob ein Standardpasswort verwendet wird oder nicht. Hier geht der BGH davon aus, dass es normal ist, dass Dritte sich unter Verstoss gegen § 202a StGB (wenigstens nach aktueller Instanzrechtsprechung, s. http://www.retosphere.de/offenenetze/2010/01/29/ag-zeven-nutzung-eines-offenen-wlan-strafbar) in strafrechtlich relevanter Art und Weise Zugang zum Netz eines Dritten verschaffen. Hier hätte der BGH wenigstens nach der Fragestellung, die das OLG Frankfurt aufgeworfen hat, deutlich mehr Aufwand für die Begründung betreiben müssen.
bb) Zumutbarkeit der Änderung des Passworts
Anschliessend stellt der BGH fest, dass es zumutbar ist, dem privaten Inhaber eines WLAN aufzuerlegen, sein Kennwort zu ändern.
Interessanterweise stützt der BGH die Zumutbarkeit auf das Eigeninteresse des Betroffenen. Da der Beklagte ein vitales Interesse am Schutz seiner eigenen Daten gehabt habe, sei ihm aus diesem Grunde der Schutz der Interessen Dritter zumutbar.
Diese Begründung hat bereits viel Kritik erfahren, da es sich um ein unzulässiges Abstellen auf ein „Verschulden gegen sich selbst“ handele (dazu http://www.internet-law.de/2010/06/bgh-urteil-zur-w-lan-haftung-im-volltext.html und http://www.telemedicus.info/article/1774-Der-BGH-zur-WLAN-Haftung.html).
In diesem Punkt hat der BGH offenbar vom Ergebnis her gedacht, allerdings die technischen Gegebenheiten nicht richtig beachtet. Denn hier hätte der BGH sauber trennen müssen: Die Unsicherheit des WLAN bedingt nicht die Unsicherheit der Daten. Trotz Zugang zum WLAN kann der Beklagte die Freigaben auf seinem Computer restriktiv und damit sicher eingestellt haben. Hierzu haben aber weder die Instanzgerichte noch der BGH tatsächliche Feststellungen getroffen. Ob ein solches Interesse also vorlag, lässt sich nicht ohne weiteres postulieren.
Auch die Daten auf dem Router selbst, also z.B. die Zugangsdaten zum DSL-Anbieter, müssen nicht zwingend unsicher gewesen sein. Denn das Kennwort zum Zugang zum WLAN und das Administratorpasswort des Routers sind in der Regel nicht identisch. Ob der Beklagte das Administratorpasswort des Routers geändert hat, ergibt sich ebenfalls nicht aus den Feststellungen des Gerichts.
Dennoch ist dieser Teil beachtlich, denn er hat für Freifunk und institutionelle Anbieter von offenem WLAN (worunter ich jetzt z.B. auch Internet-Cafes fasse) eine grosse Bedeutung: Wenn der Anbieter eines offenen Netzes seine Daten schützt und dennoch das Netz bewusst öffnet, dann kann sich der BGH nicht auf das Eigeninteresse des Anbieters schützen und daraus eine Pflicht ableiten. Gerade bei Freifunk ist es üblich, dass das Setup zwei Router umfasst, von denen einer das offene Netz bereitstellt. Durch diese Aufteilung erfolgt eine netzwerktypologische Trennung der Netze und damit eine Sicherung des privaten lokalen Netzes vor Zugriffen der Nutzer. Ebenso dürfte es sich bei institutionellen Anbietern verhalten.
cc) Marktübliche Sicherung
Anschliessend konkretisiert der BGH die Pflichten des Beklagten, indem er darauf abstellt, dass derjenige, der einen WLAN-Router kauft, wenigstens diejenigen Sicherheitseinstellungen einhalten muss, die zum Zeitpunkt des Kaufs marktüblich sind. Eine Überwachungspflicht sieht der BGH als unzumutbar an.
Hierbei ist allerdings zu beachten, dass der BGH diesbezüglich von einer Unzumutbarkeit für den privaten Inhaber spricht. Das könnte darauf hindeuten, dass institutionelle Anbieter ihre Sicherheitseinstellungen regelmässig zu überprüfen haben.
dd) Privilegierung von Geschäftsmodellen
Ein m.E. ganz wichtiger Punkt der Entscheidung ist der folgende Absatz (II.2.b.dd). Denn der BGH drückt aus, dass es dem Beklagten zumutbar war, Sicherungsmassnahmen zu ergreifen, da er KEIN Geschäftsmodell verfolgt.
In der Rechtsprechung des BGH zur Störerhaftung hat sich immer wieder gezeigt, dass der BGH Geschäftsmodelle grundsätzlich schützt – wenigstens insoweit als eine auferlegte Pflicht nicht zur Einstellung des Geschäftsbetriebes führen darf.
Man kann den BGH also so verstehen, dass er geringere Pflichten auferlegt, sobald hinter dem Angebot ein wie auch immer geartetes Geschäftsmodell steht. Dies darf allerdings nicht in einem streng wirtschaftlichen Sinne verstanden werden, sondern dürfte sich auf jegliches organisierte und bewusste Öffnen des Netzes beziehen – und damit auch auf Freifunk.
ee) Keine Anwendung der Privilegierung des § 8 TMG – (doch) eine grundsätzliche Anwendbarkeit der Privilegierungen auf Unterlassungsansprüche?
Bedeutsam ist ferner der Teil, in dem der BGH auf die Anwendung der Privilegierung der §§ 7 ff. TMG eingeht. Interessanterweise bezieht sich der BGH hier nur auf § 10 TMG, der für Host Provider wie Ebay gilt und mit dem Bereitstellen eines WLAN nichts zu tun hat.
Ungeachtet dessen offenbart eine Analyse dieses Abschnitts möglicherweise eine Überraschung.
Der BGH geht im ersten Teil des Absatzes auf das Geschäftsmodell und seine Internetversteigerungsrechtsprechung ein. Dann stellt er fest, dass die Privilegierungen des TMG keine Anwendung finden. Argumentativ ist nach dieser Feststellung der Platz für eine Begründung der Feststellung. Bisher hat der BGH an dieser Stelle immer auf seine entsprechenden Entscheidungen verwiesen und damit gesagt, dass die Privilegierungen ohnehin nicht auf Unterlassungsansprüche anwendbar sind. Damit wäre dieser Punkt abschliessend behandelt.
Stattdessen führt der BGH aus, dass das Interesse an WLAN dem nicht entgegensteht.
Fraglich ist, wie dies zu verstehen ist. Denn nach dem bisherigen Vorgehen des BGH hätte es dieses Satzes nicht bedurft. Man könnte dies als Hinweis darauf sehen, dass der BGH von seiner grundsätzlichen Ablehnung der Anwendung der Privilegierungen auf Unterlassungsansprüche abrückt und stattdessen eine neue Begründung benötigt. Eine ähnliche Tendenz hat der BGH bereits im Urteil zu Google-Thumbnails (Urteil vom 29. April 2010, Az.: I ZR 69/08) erkennen lassen (s. zu dieser Problematik http://www.internet-law.de/2010/05/anmerkung-zum-urteil-des-bgh-zur-google-bildersuche.html und http://www.retosphere.de/offenenetze/2010/05/19/bgh-google-thumbnails-und-die-anwendung-der-privilegierungen-der-%c2%a7%c2%a7-7-10-tmg-auf-unterlassungsanspruche).
ff) Das Interesse an WLAN ist hoch zu bewerten und berechtigt
Besondere Hervorhebung gebührt noch der Feststellung des BGH, dass das Interesse an „leichtem und räumlich flexiblem Zugang zum Internet“ hoch zu bewerten und berechtigt ist.
Hier hat der BGH tatsächlich Farbe bekannt – und damit einen Baustein für künftige Abwägunsentscheidungen gelegt. Wichtig ist dies, da das Interesse am Zurverfügungstellen von Infrastruktur im Hinblick auf den „Digital Divide“ sogar noch höher zu bewerten. Damit gibt der BGH Freifunkern ein weiteres wichtiges Argument an die Hand.
4. Zur Kostendeckelung nach § 97a UrhG
Interessanterweise enthält das Urteil – entgegen der Pressemitteilung, die insofern mindestens missverständlich war – keine Erwähnung zur Anwendung der Kostenkappung für die Abmahnung auf 100 EUR. Zur Kritik daran s. http://www.telemedicus.info/article/1773-Pressemitteilungen-und-Urteilsgruende-beim-BGH.html).
Alle diesbezüglichen Ausführungen in die eine oder andere Richtung sind damit hinfällig. Allerdings gilt dies auch für den Hinweis in der Pressemitteilung, dass § 97a UrhG auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sein soll. Denn der BGH hat die komplette Kostenentscheidung an das OLG Frankfurt zurückverwiesen. Es liegt jetzt in der Hand des OLG Frankfurt, nicht nur den Streitwert zu bestimmen, sondern auch über eine Anwendung von § 97a UrhG auf Altfälle zu entscheiden. Diese Auffassung nimmt beispielsweise das OLG Brandenburg ein.
5. Fazit und Auswirkungen
Insgesamt ist das Urteil sehr unbefriedigend. Denn der BGH hat es versäumt, offene Rechtsfragen klar und deutlich zu beantworten. Zudem hat der BGH die über den konkreten Fall hinausreichende Bedeutung seiner Entscheidung verkannt (diese wurde im Vorfeld der Entscheidung mehrfach in der Literatur diskutiert, s. Garcia, Telepolis v. 19.4.2010, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32466/1.html; Stadler, http://www.internet-law.de/2010/04/grundrecht-auf-offene-netze.html; Mantz, JurPC Web-Dok. 95/2010, Rn. 3 ff., 29, http://www.jurpc.de/aufsatz/20100095.htm) – oder bewusst ignoriert. Denn die Entscheidung hätte für offene Netze und institutionelle Anbieter Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bringen können.
Diese bringt die Entscheidung des BGH nicht. Es ist keine Antwort darauf gefunden, welche Pflichten Betreibern offener Netze obliegen – bzw. ob der BGH bei ihnen überhaupt Pflichten annehmen würde. Die Ausführungen zur Privilegierung nach §§ 7 ff. TMG bewirken eher weitere Unsicherheiten.
Damit bleibt es bis auf weiteres bei den Handlungsanweisungen von Wulf, http://freifunkstattangst.de/2010/05/14/was-gibt-es-zur-zeit-zu-sagen-wenn-uns-jemand-zum-bgh-urteil-i-zr-12108-fragt/.
Die Ausführungen zum Geschäftsmodell machen Mut, dass solche Anbieter eher besser behandelt werden. Allerdings sieht der BGH möglicherweise auch eine Pflicht zur weiteren Überwachung der Entwicklung von Sicherheitsstandards bei nicht-privaten Anbietern.
S. auch http://www.retosphere.de/offenenetze/2010/06/04/das-wlan-urteil-des-bgh-und-seine-auswirkungen-auf-offene-netze/